Ausnahmezustand Erde. Literatur im Anthropozän

Studentisches Symposium des Franz-Nabl-Instituts für Literaturforschung der Universität Graz (10.–12.4.2024, Literaturhaus Graz)

Die Hitze nimmt zu, Wälder brennen, Überschwemmungen häufen sich und jedes Jahr sind mehr Arten durch den menschengemachten Klimawandel bedroht. Zugleich bilden sich vor Küsten im Pazifischen Ozean felsenartige Gebilde, die gleichermaßen aus Mineralien und Kunststoff bestehen. Radioaktiver Staub, der auf Bombentests der 1940er Jahre zurückgeht, lässt sich in der Biosphäre des gesamten Planeten nachweisen, während künstliche Intelligenz und die zunehmende Medialisierung unserer Lebenswelt das Verständnis von Wirklichkeit grundlegend verändern. Was wie Szenarien aus dystopischen Romanen oder Science-Fiction klingt, findet sich heute in der täglichen Berichterstattung ebenso wie in der (natur-)wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit unserer unmittelbaren Gegenwart. Wir leben mitten im Anthropozän.

Kein anderer Begriff hat den wissenschaftlichen Diskurs der letzten Jahrzehnte derart geprägt. Die Idee eines neuen geologischen Zeitalters, in dem die Menschheit zu einer geophysiologischen Größe geworden ist, die tiefgehende und langfristige Veränderungen an unserem Planeten verantwortet, schlägt nicht nur in der Geologie und Klimatologie hohe Wellen. Auch Grundannahmen der Kultur- und Geisteswissenschaften stehen zur Disposition und mit ihnen auch die Grenzen zwischen den Disziplinen. Mit der Entdeckung der ‚Handlungsmacht‘ der Welt (Latour), die ihren (ästhetischen) Status als ‚stumme Natur‘ verloren hat, ist auch ein neues Denken gefordert: weg von anthropozentrischen Maßstäben hin zu Denkweisen des Planetaren und Tentakulären (Haraway) oder zur Annahme grundsätzlich verwobener Materie (Barad, Bennett), sei diese nun menschlich, tierisch, viral oder technologisch.

Schaut man in die Verlagsprogramme der letzten Jahre, wird klar: Anthropozän und Klimawandel sind längst auch schon in der Literatur angekommen. Die beschworenen Bilder, Szenarien und Themen dominieren auch hier. Die Frage ist, ob es über die inhaltliche Auseinandersetzung mit einzelnen Aspekten (Klimawandel, nature writing etc.) hinaus so etwas wie eine spezifische Ästhetik des Anthropozäns gibt. Finden sich in gegenwärtigen (oder gegenwärtig neu gelesenen) Texten Schreibweisen und Lesarten, die die Grundannahmen des Anthropozän-Diskurses auch innerliterarisch produktiv machen?

Die Tagung, die von Studierenden der Germanistik in Graz getragen wird, präsentiert ausgewählte ästhetische Positionen einer Literatur im Anthropozän und stellt sich der Aufgabe, die überaus heterogenen literarischen Formen und Erzählstrategien, die sich hier beobachten lassen, kritisch zu analysieren.

Das Symposium basiert auf einem literaturwissenschaftlichen Seminar unter der Leitung von Klaus Kastberger, das im WS 2023/24 unter dem Titel „Literatur im Anthropozän“ an der Karl-Franzens-Universität Graz abgehalten wurde.

Konzeption und Durchführung: Marietta Schmutz, David J. Wimmer

 

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veröffentlicht am 19. März 2024 in Allgemein