Cordula Simon: Porn
veröffentlicht am 20. Juli 2023 in Writers' Blog
2016 war ein hartes Jahr für Pornografie – und nicht nur für die Darstellerinnen: Zensur greift in immer mehr Ländern um sich. Das Umleiten von IP-Adressen zu Pornografieseiten im Iran hat dieses Jahr zum Beispiel den Zugriff des halben asiatischen Kontinents auf Pornoseiten lahmgelegt. In Bangladesch wurden über 500 Pornoseiten gesperrt, angeblich um Kinder vor deren Inhalt zu schützen. Die Philippinen haben eine neue Zensurbeauftragte, die selbst als Sängerin, Tänzerin, Model, Sex-Instructor und Sexkolumnistin tätig war und nun Soft Porn aus dem Fernsehen eliminieren möchte. Ein israelisches Gesetz soll Internet Provider zwingen Pornografie automatisch zu zensieren und nur durch ausdrücklichen Wunsch des Users aufzuheben.
Das Censor Board in Indien hat es weniger auf Pornografie als auf good ol‘ Bollywood abgesehen: Trailer werden gesperrt, weil das Wort „Homosexualität“ vorkommt, Szenen müssen entfernt werden und Wörter wie „Election“ werden ebensowenig akzeptiert wie Nahaufnahmen von Drogenkonsum, ein Hund namens Jackie Chan sollte umbenannt werden, Städtenamen, Songtexte et cetera. Bollywood kämpft darum, dass das Censor Board zwar Zertifikate ausstellen darf, jedoch nicht mehr zensieren, da dies nicht zeitgemäß ist. Kein Wunder: der Cinematograph Act ist schließlich von 1952.
Wer jetzt denk: tja, ist mir egal, im Westen ist das ausgekämpft, der irrt. In Utah soll ein Gesetz verabschiedet werden, das Menschen erlaubt Pornografieproduzenten zu verklagen und Bibliotheken sollen Pornografiefiltern in ihren Wi-Fis haben. Das Wort Eigenverantwortung wird hier wohl nicht besonders groß geschrieben.
Auch in South Carolina wird ein Gesetz diskutiert, in dem sämtliche Hardware mit Porn-blocking software kommt, die man für 20 Dollar entfernen lassen kann. Offenbar braucht South Carolina Geld, denn wie die Pornhub-Statistiken zeigen, lieben die South Carolinians ihre Pornos: Im Schnitt bleiben sie 29 Sekunden länger auf einer Seite als der US-Schnitt und die Suchanfrage „big black cock“ wird 130% öfter eingetippt als im Durchschnitt.
Und jetzt reißen wir uns mit den Vorurteilen noch ein bisschen zusammen, denn das ist nicht alles „über dem großen Wasser“ und „die Spinnen, die Amis“. Erinnert sich noch jemand an den Face-Sitting-Protest in Großbritannien? Internet Provider sollen gezwungen sein Seiten zu blockieren, die nicht für den DVD-Verkauf zertifiziert wurden beziehungsweise würden. Damit sollen „non-conventional sexual acts“ nicht mehr zugänglich sein. Das ganze jedoch stellt sich als Katastrophe für Menschen mit marginalisierten Sexualitäten heraus: Peitschen, weibliche Ejakulation, Sex in der Öffentlichkeit. Die Zertifikation wird vorgenommen vom British Board of Film Classification (eingeführt – oh süße Ironie – in 1984). Es gibt jedoch keine definitve Liste zu zensierender Sexualakte, was zu der Befürchtung führt, dass auf Dauer nicht nur Pornografie betroffen sein könnte. Jedes schwammige Gesetz ist besorgniserregend. Als sei es nicht schlimm genug, dass viele Akte im Visier mittlerweile als normale Aspekte eines gesunden Sexlebens im feministischen, queer und ethical Porno gelten. Einige wenige Blüten hat das ganze schon getrieben, wer möchte, der google an dieser Stelle „four-finger-rule“.
Wer glaubt, dass die Zensur von Pornografie nicht als Vorwand weiterer Zensur dienen kann wende seinen Blick auf Malaysia: politische und religöse Seiten wurden dieses Jahr im Rahmen der Pornozensur blockiert.
Cordula Simon, Schriftstellerin, geb. 1986 in Graz, studierte deutsche und russische Philologie in Graz und Odessa. Koordinatorin der Jugend-Literatur-Werkstatt Graz und Mitglied der Literaturgruppe „plattform“. Zuletzt veröffentlicht: „Wie man schlafen soll. Roman“ (Residenz, 2016).