Cordula Simon: Pornesque
veröffentlicht am 20. Juli 2023 in Writers' Blog
Autoren sind ja grässliche Menschen: ständig belauschen wir Fremde und überlegen, ob Gesagtes in einem Text landet. Zuletzt hörte ich Streit aus einer benachbarten Wohnung. Durch die Wände ist alles schrecklich undeutlich. Dann höre ich ganz klar die weibliche Stimme: „Du hast Pornos geschaut, ich weiß es ganz genau!“ Danach habe ich gar nichts mehr verstanden, von der weiblichen Stimme kam Schluchzen. Ich war gewissermaßen überrascht, denn es ist ja nicht neu, dass gerade durch das Internet immer mehr Pornos konsumiert werden. 35 Prozent des ganzen Datenverkehrs sollen pornografisch sein. Da stelle ich mir also eine Studentin vor, die ein bisschen naiv, ihrem Freund die Pornos vorwirft. Eine, die sich gedacht hat: Aber mein Freund doch nicht. So wie Kate Monster im Musical Avenue Q in dem Lied „Internet is for Porn“. Und der Freund, den ich akustisch partout nicht verstehen konnte, hat sich vielleicht gewehrt. Vielleicht gesagt, dass er nicht weiß, warum die Links in seiner Browserhistory sind. Dass ein Freund seinen Computer benutzt hat. Dass das unerwünschte Pop-up-Fenster waren. Dass er sie nicht aus erotischen Gründen geschaut hat, sondern nur um mal rauszufinden, was da dran sein soll. Dass das ein Virus sei. Alles, alles sagen, nur nicht, dass er eben Pornos geschaut hat. Denn das geht ja nicht, das darf nicht sein. Denn Pornos sind böse. Von vornherein. Immer. Da liegt er also zerschmettert, Hugh Hefners Traum von einer Welt in der Sex nicht tabuisiert wird. Irgendwo in der Nachbarwohnung. Der Traum, dass Sexszenen im Hauptabendprogramm laufen könnten, dass Pornografie nicht in die Nische abgeschoben wird. Gäbe es keine Nische, sondern den Hauptabendauftritt von Lexi Belle gleich nach den Seitenblicken, wäre dann die Pornoindustrie nicht vielleicht eine andere? Die Darsteller und vor allem Darstellerinnen besser vor missbräuchlichen Situationen geschützt? Das Rennen um die spektakulärsten und extremsten Szenen nie zu solchem Ausmaß gekommen? Schwarzers PorNO nicht notwendig gewesen? Dank der Entwicklung der letzten vierzig Jahre wird das wohl nie herauszufinden sein.
Zweifelsohne gibt es aber hinter der oberflächlichen Igitt-Igitt-Industrie, wie manch einer sie dem unbescholtenen Internetnutzer politisch unterbreitet, auch häufig Blüten von faszinierendem Ausmaß. Da gibt es nämlich auch Pornowebsites mit Gewissen. „Fuck for Forest“ mag einigen noch in Erinnerung sein, abgestempelt als Hippies, die sich für die Eichhörnchen ausziehen. Oder so ähnlich. Diese Seite hat allerdings nie die breite Masse angesprochen, vielleicht weil „zeig den Busch für den Busch“ nur in den Siebzigern gut funktioniert hätte, wo auch der dazugehörige Schnurrbart nicht fehlen durfte.
Was ist aber mit den Mainstream-Seiten? Warum kennt niemand, den ich bislang gefragt habe „Pornhub Cares“, wenn doch 45 Prozent aller Internetuser Pornografie konsumieren? Vielleicht sind die eben auf anderen Seiten unterwegs, auch wenn Pornhub unter den Streamingseiten zu den Giganten gehört. Pornhub hat nämlich beschlossen etwas für die Bildung zu tun. Sie bieten ein Stipendium für Studenten und Studentinnen beliebiger Studienrichtungen an und für die Bewerbung ist ein guter Notenschnitt und ein Essay notwendig, in dem man erklärt wie man andere Menschen glücklicher macht. Dazu noch ein Video von maximal fünf Minuten, dass diese Bemühungen zeigt und das – hört, hört – ohne sich auszuziehen. Die Bewerbungsvideos kann man auch auf der „Pornhub Cares“-Seite einsehen, dabei halten sich männliche und weibliche Bewerber die Waage. Ein Mädchen eröffnet mit: „Hello Pornhub, wow, das sind Worte, die ich nie laut zu sagen geglaubt hätte.“
Kommerzielle Websites haben gewiss schon in abwegigere Dinge investiert: Pornos im Weltall und hopsende Hinterbacken aus Silikon gehören ebenso zu den Errungenschaften, die Pornhub finanziert.
Vielleicht wollte sich der Freund der Nachbarin einfach für ein Stipendium bewerben. Vielleicht gibt es über Pornografie und vor allem über jene, die sie produzieren einfach zu viel Halbwissen.
Später habe ich die beiden noch Stöhnen gehört.
Cordula Simon, Schriftstellerin, geb. 1986 in Graz, studierte deutsche und russische Philologie in Graz und Odessa. Koordinatorin der Jugend-Literatur-Werkstatt Graz und Mitglied der Literaturgruppe „plattform“. Zuletzt veröffentlicht: „Ostrov Mogila. Roman“ (Picus, 2013).