Egon Christian Leitner: „Was jetzt, was tun?!“

Egon Christian Leitner: „Was jetzt, was tun?!“

veröffentlicht am 20. Juni 2022 in Allgemein

Der Grazer Autor Egon Christian Leitner wurde vom Literaturhaus Graz eingeladen, sich an dem gemeinsamen MitSprache-Projekt der österreichischen Häuser für Literatur zum Thema Literatur und soziale Gerechtigkeit in Form von monatlichen Text-Beiträgen zu beteiligen. Leitners Beiträge werden unter dem Titel „Was jetzt, was tun?“ von Jänner 2022 bis Mai 2022 auf der Homepage des Literaturhauses Graz veröffentlicht und gemeinsam mit Beiträgen der anderen Literaturhäuser auch auf der gemeinsamen Homepage mit-sprache.net vorgestellt. Das Projekt „Was jetzt, was tun?“ wurde zudem bei einer Veranstaltung mit dem Autor am 1. Juni 2022 im Literaturhaus Graz der Öffentlichkeit präsentiert.

 

Egon Christian Leitner, geboren 1961 in Graz, Studium der Philosophie und Klassischen Philologie. Kranken- und Altenpflege, Flüchtlingshilfe. Bourdieu-Spezialist, lebt und arbeitet als freier Autor vor allem in Graz. Literaturförderungspreis der Stadt Graz 2013 und Literaturstipendium der Stadt Graz 2016, KELAG-Preis beim Bachmannwettbewerb 2020. Zuletzt: Ich zähle jetzt bis 3 und dann ist Frieden. Sozialstaatsroman, letzter Teil (Wieser 2021).

Egon Christian Leitner: Was jetzt, was tun? (Teil I)

Aufrichtigkeit hat Kelsen gesagt. Aus dieser einzig sei Gerechtigkeit gewinnbar: die Wissenschaften eben und der Frieden und die Demokratien nur so. Seines Empfindens. Nach dem Krieg hat er das gesagt und zwischen den Kriegen. Immer halt. Dass Österreich eine Demokratie ist usf., hatte er in die Verfassung geschrieben, ganz am Anfang bekanntlich das Ganze: Alles Recht gehe vom Volke aus. Vor ein paar Jahren hat der Präsident des Verfassungsgerichtshofs da hier gesagt, solche Sätze, klaren, einfachen, wie die Kelsens in der Verfassung würden heutzutage nicht mehr zustande gebracht werden. Werde nicht mehr gekonnt. Das Wichtigste in meinem Leben hat Kelsen auch gesagt. Schutz auch. /// Erschossen die zwei Menschen da hier sind worden, der Mörder ist sofort spurlos verschwunden. Ein Jahr vor seiner Tat hab ich von ihm Bericht gegeben, von der Begegnung, zufälligen: wie gehetzt, starr, in welcher Angst, blanken, der Mann damals gewesen war. Ansprechbar jedoch. Froh über Freundlichkeit. Jäh erleichtert. Weich sein Körper kurz war plötzlich und der Mann aufgemacht hat, wieder zu, wieder auf, wieder zu, weiter musste, schnell. Hat nicht öffentlich interessiert, als ich ihn öffentlich zu machen probierte. Name und Adresse wären damals vorhanden gewesen, er also für Helfer und Institutionen erreichbar. Vergebens wird jetzt international gefahndet. Bei den weltweiten Rechtsextremen er von Anfang an vermutet. Zweien Menschen da hier das Leben genommen; seine Familie, die Frau und die Töchter, sind daher da hier nachbarschaftlich nimmer geduldet. Denn die seien mit schuld. Die Frau zuvorderst. Die habe ja gewusst, wie er ist. Hätte das alles verhindern müssen. Ihre Nachbarn seit immer schon da hier sehen den Sachverhalt dergestalt. Habe keine Ahnung. Kannte den Angstmann nicht. Hatten bloß die paar Minuten, Augenblicke, miteinander zu tun. Dachte, er sei auf dem Weg zum Gericht dort vorn gradaus rüber. & Von einem gewaltigen, riesigen Pflegeheim da hier, von den Leuten darin, habe ich auch einmal Bericht gegeben. Wie’s dort ist, war, öffentlich zu machen bemühte ich mich. Abgelehnt worden, mir nicht publizierbar. Die Leut’ im Pflegeheim (Name) interessieren niemanden, wurde zu mir gesagt als Entscheidung mitsamt der Begründung. Aber in Wirklichkeit eben war besagte Hilfseinrichtung derart beschaffen, dass sie dann zugesperrt und aufgelassen wurde, weil die Leut’ in einem fort in selbiger litten. Schaden nahmen. Von Rechts wegen darf die Volksanwaltschaft seither die Heime kontrollieren und ist dazu verpflichtet. Vorher war’s rechtlich nicht so. Hat alles ewig gedauert bis dahin. Die Qual somit. & Von einer Dialysestation habe ich auch berichtet einmal, z. B. wie auf der eine Frau gestorben ist, weil Intensivmangel herrschte, intensiver Mangel eben: wie beschaffen die ganze Station geworden war; man daher nicht wusste, was tun. Auf der übergeordneten Abteilung sagten die Schwestern sowieso, es sei bei ihnen jeden Tag wie ohne Ende im Krieg; da hier das sei kein Krankenhaus, sondern ein Kriegslazarett sei das da hier, das Ganze werde immer so weiter gehen und niemals anders werden. Jahre später dann kam was, weil das Ganze sich in der Tat nicht wirklich änderte und daher wieder einmal jemand zu Tode kam, auf und also vor Gericht. Doch die Falschen wurden verurteilt; die Richterin sagte das tatsächlich so. Zu mir z. B. hingegen war, das Publizieren ablehnend, Immer diese Spitalsgeschichten gesagt worden. /// „Meinen“ Sozialstaatsroman habe „ich“ dann aber doch publizieren können. Im Winter 2011/12 war’s. Auf dem Schuberkarton stand, steht als „mein“ Beweggrund wahrheitsgemäß einzig, was Triagen sind. Leben gegen Leben eben. Und dass der Sozialstaat dafür da ist, dass es nicht dazu kommt, steht drinnen auch. Zuvorderst der zwangsläufig und unnötig zu Tode gekommenen Frau auf der Dialysestation wegen ist „mein“ Sozialstaatsroman verfasst. Der gemeine Tod der Frau war mir jahrelang auch noch im Schlaf gegenwärtig; bis der Sozialstaatsroman erscheinen konnte, dauerte es erschreckend lang. Wer wichtiger Ablehnender z. B. hat einmal zu mir gesagt, ich solle das Manuskript infolge der Aussichtslosigkeit in die Mur schmeißen. Derlei Insgeheim-Reden wichtiger Leut’ nehme ich sowohl prinzipiell als auch nach wie vor übel. Der sagte damals des Weiteren, ich brauche ihm nichts zu sagen, er kenne, wisse alles, denn er sei ein Arbeiterkind. Niemand könne ihm was erzählen von der Welt, der Politik. Unabänderlich alles in Wahrheit. Politisch aktiv war der andererseits vorher und später, sagte da, eine neue linke Partei brauche es, arbeitete an einer solchen. Gnadenlos müsse man sein, sagte er. Ein anderer wichtiger Ablehnender sagte ebenfalls, was ich erzähl’, kenne man ja schon alles, die österreichische Literatur sei seit Jahrzehnten voll der Misshandlungen der Kinder und jungen Leut’ und so weiter. Von Kindern eben auch habe ich im Sozialstaatsroman ja Bericht gegeben. Fast oder dann doch zu Tode kommenden z. B. Und von den Entkommenen aber auch. Von ihren Familien, den Orten und Einrichtungen. Weil durch die Kirchenskandale die verjährten Kinderschicksale, Erwachsenenschicksale, Öffentlichkeits- und Marktwert bekamen, konnte „ich“, „mein“ Sozialstaatsroman halt, dann doch veröffentlicht werden. Von einem Betrugsfall in einer kirchlichen Organisation, hilfreichen, habe ich ja eben auch seit jeher Bericht gegeben in „meinem“ Sozialstaatsroman. Wie das ist, wenn niemand schuld ist und alle gut. Überhaupt von Unfällen, behebbaren, in Hilfseinrichtungen verschiedener Sorte. Vom Vorgang, wenn, statt dass was in Ordnung gebracht wird, es falsch immer weiter wie immer geht. Von der Helferhilflosigkeit eben und den Fehlern. Und eben z. B. von einem Kind, das unter Militärs, Gewerkschaftern und Beamten, ministeriellen, aufwuchs. Wie die Erwachsenen in ihren Berufen und Funktionen waren und wie, wenn’s wirklich darauf angekommen ist. Wie einfach das Dazwischengehen und Abhilfeschaffen jeweils immer gewesen wäre. Jedes Mal. In Wahrheit. Von den Auswegen eben. Damals wie immer. & Des Weiteren habe ich z. B. seit letztem Frühlingsende Leut’ öffentlich ziemlich angefleht, gemeinschaftlich mitzuhelfen, schnellstens die Grundversorgungen rechtzeitig zu sichern. Dass wir z. B. da hier in Österreich in einem Dörnerexperiment jetzt grad leben, habe ich desgleichen bei jeder öffentlichen Gelegenheit von mir gegeben. Berichtet auch, was die Dörnerexperimente sind und wie die für gewöhnlich ausgehen und wieso dermaßen grausam und blöd. Wie halt jetzt grad da hier. & Für die allgemeine Impfpflicht hab’ ich auch öffentlich geredet seit dem Sommer, dabei die Regierung der Unterlassung, Verfehlung und Unredlichkeit geziehen. Bin rechtsgültig geimpft, ließe mich täglich dreimal impfen. Kenne aber Leut’ ohne Vertrauen. Die sind gewohnt, dass man mit ihnen macht, was man will und was für sie selber oder für die, an denen ihnen von Herzen liegt, nicht gut ist. Und auch solche eben, die gar gewohnt sind, verheizt zu werden. Leut’ in helfenden Berufen, Pflegende z. B. Die sind, mit Verlaub, weder trotzig noch dumm. Die haben ganz andere Gründe. Das Im-Stich-gelassen-Werden eben, notorische. Bin jedenfalls rechtskräftig geimpft. Ein Schulfreund, Intensivmediziner, ärztlicher Leiter eines Spitalskomplexes, wacht diesbezüglich über mich; bin sehr glücklich darüber und dankbar. Warum aber gibt’s keine so redliche Impfpflicht, wie mein Schulfreund redlich und fürsorglich ist? Der Haftungen wegen, oder? Der Staat würde haften, oder? Im Falle von jeglichem Schaden und mangelnder Sorgfalt. Jedem Einzelnen und jeder Einzelnen gegenüber und in allen gewussten und vorher redlich überprüften Eventualitäten. Ist es nicht so? Nein, wie dann? Doch, es ist genau so. Und gut. Bitte! Rechtsstaatlichkeit! Dergestalt! Bin wie gesagt für die allgemeine Impflicht, wenn diese so beschaffen ist. Denn da dann hat in der Folge der Staat, der Sozial- und der Rechtsstaat, sämtliche Garantien und Pflichten zu übernehmen und zu erfüllen und vor- und fürsorglich und umsichtig zu sein. Dermaßen einfach ist, finde ich, die Sache mit dem Vertrauen infolge von Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit. Für die vertrauenswürdige, redliche, umsichtige, freundliche, hilfsbereite, rechtzeitige Vor- und Fürsorge unter Beweis stellende Impfpflicht wie gesagt bin ich. Hab öffentlich darauf gewettet, dass eine solche niemals Probleme machen tät’. Anstatt der jetzt erzwungenen will ich eine solche, gute, liebevolle; einen mitfühlenden Staat eben. Kein Mensch würde hingegen, kommt mir vor, zu den Politikern jetzt da hier jemals gehen vertrauensvoll als Patient, vielmehr hat man das Gefühl, dass die da hier keine guten Ärzte sind, sondern unglaublich unbeholfen, brutal und hohl und dass man im Ernstfall egal ist und allein gelassen und in Wirklichkeit keine Hilfe bekommt von denen. & Ein gemeinsames Schulpflichtfach Helfen für da hier habe ich infolge von Not und Dringlichkeit auch jedes Mal erfleht die Jahre hindurch; des Weiteren ein permanentes Friedensprogramm, analytisches Friedensformat, im ORF. Und eben wie gesagt infolge der Not und Dringlichkeit da hier gemeinsam und schnell die Grundversorgungen zu sichern, in Besonderheit beispielsweise durch ein Sozialstaatsvolksbegehren zur Versorgungssicherheit. Das Sozialstaatsvolksbegehren ist wirklich wichtig. Von Österreich aus das Ganze. Zuerst oder zugleich da hier und dann gar weiter europaweit. Der Notfallchirurg Werner Vogt z. B., der 1. Wiener Pflegeombudsmann ‒ die Dohnal sowieso ‒ hat das Sozialstaatsvolksbegehren für da hier zu realisieren versucht. Immer wieder dann wer die Jahre hindurch. Angeblich hat zwar hierzulande noch kein Volksbegehren je etwas bewirkt und glauben alle, es gehe bloß um Unterschriften. Falsch! Das österreichische Sozialstaatsvolksbegehren 2002 ging bloß zu schnell (vorbei). Und, obwohl geglückt, infolge von Parlamentsauflösung infolge von Haider samt damaliger (proto-Kurz’scher) Regierungsbuberlpartie in die Binsen. Das Potential wären wohl 1,5 Millionen Stimmen gewesen. Es hätte ein österreichweiter Diskussions- und Lernprozess werden sollen zum Zwecke der gemeinsamen Prävention vor künftigen Katastrophen. Im Gesundheits-, Pflege-, Bildungswesen, Wirtschaftsgebaren und Arbeitsleben. Die Sicherung ausreichender Grundversorgung in allen Bereichen. Geschützt dies durch die Verfassung. Wäre es bereits 2002 gelungen oder wäre die Idee, es zu wiederholen, nicht am Eigennutz von Parteien und Verbänden gescheitert, wäre der österreichischen Bevölkerung, bilde ich mir halt ein, viel Pandemie-Unbill erspart geblieben. Das Sozialstaatsvolksbegehren jetzt endlich wieder zu bewerkstelligen, würde da hier vor Schrecknis und viel Schlimmem bewahren. Immer noch nämlich. Damit das alles nicht so weiter geht oder schlimmer wird. Angesichts der Seuche und weiterer anstehender Naturkatastrophen ist ein Sozialstaatsvolksbegehren oder etwas möglichst ähnlich Substanzielles, finde ich, dringende Notwendigkeit. Zwecks Sicherung der Grundversorgungen; Versorgungssicherheit. /// Dass ich so viel Ich sag’ grad, ist mir ungut. Versuch’ halt, mich zu erfangen. Wollten nämlich am 19.2. in Innsbruck im Treibhaus vom Bischof aus vor Ort einen Tag lang mit Leuten, ein paar Hundert aus allen Tiroler Hilfseinrichtungen, öffentlich darüber beratschlagen, wie’s mit dem Staat, dem Leben, der Seele und der Wirtschaft weitergehen wird da hier in Österreich und überhaupt. Armin Thurnher wollte über „Die Zerstörung der Demokratie und die Medien“ mit den Leuten reden, der ORF-Kriegsberichterstatter Fritz Orter mit denen über „Globale Gerechtigkeit“ und der AK-Chefökonom Markus Marterbauer über eine solide Wirtschaftspolitik gegen die Hoffungslosigkeit und gegen die Angst. „Was jetzt, was tun“ hatte ich fest im Sinn, freute mich z. B., weil die Caritasdirektorin und eine Armutsforscherin und die Bildungsverantwortliche und ,ich glaub’, die AMS-Chefin Bericht geben wollten, was alles jetzt dann sein wird und wann was gut ausgeht. Der Seuche wegen geht’s jetzt aber nicht und digital und übers Internet auch nicht; um 2 Monate verschoben jetzt alles. Ist mir nicht recht. Die Ungleichheitsforscherin Wiesböck oder die Kohlenberger wollte ich auch einladen wegen ihrer Vorhaben für eine klimasoziale Politik ab sofort oder Jutta Wimmler wegen Afrika und Ilse Kilic wegen der lebensfrohen Verbündungen im Alltag. Peter Henisch zuvorderst; der ist auf seine Weise ja fromm, ein Menschenretter, so gut er kann; hat deshalb beizeiten gesagt, den Kurz soll beim Scheißen der Blitz treffen. War dann so. & Den Bischof, den mag ich. Hat mit einem Arzt zusammen ein Jesusbuch geschrieben. Die beiden haben beim Vorstellen im Pressehaus, als wer gesagt hat, mit der Bergpredigt könne man keine Politik machen, gesagt, dass das nicht wahr sei. Nur mit ihr! Viel’ Leut’ waren zuhören. Beamte und Politiker auch viele. Die hohen Politiker sind wirklich nervös geworden und ein paar sind durchs Publikum gegangen und haben gesagt, wie pflichtbewusst und arm dran sie sind. Der oberste Justizbeamte, damalige, war auch da. Hat kein Wort gesagt zu dem Ganzen. Mit der WKSTA dann am Hals der. Aber gerührt war der schon sehr. Hat man wirklich gesehen. War seltsam das Ganze damals. Für die Kara-Tepe-Kinder, Moria-Kinder, kämpft der Bischof jetzt schon lange. Überall werden Zelte aufgestellt in den Städten da hier zum Protest. Ich glaub’ aber, endlich zu prozessieren wäre hilfreicher als das Protestieren. /// Dass wir da hier im Krieg sind mit dem Virus und überhaupt, heißt’s. Damit wir stattdessen reden miteinander, gibt’s jetzt mediale politische Kampagnen. Gab’s oft in den letzten 25 Jahren. Waren nix nutz. Bin daher für Redlichkeit stattdessen. Wünsch mir, dass jeder Mensch da hier bitte frank sagt, was er braucht oder kann: jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen, so vernünftig, gerecht, soll’s jetzt bitte zugehen. Bin fürs Schonen, Verschonen. Dadurch bleibt man leichter gesund oder wird’s. & Damit Menschen einträchtig leben und einander hilfreich sein können, ist es nötig, dass sie einander sicherstellen, künftig nichts zu tun, was den anderen schädigen konnte. Eine Art Staatsdefinition ist das. Sozialstaatsdefinition. Von Spinoza kommt die. 17. Jahrhundert. Einander sicherstellen, künftig nichts zu tun, was den anderen schädigen könnte. & Fritz Orter, in 14 Kriegen Berichterstatter, hat die Mörder, Schänder und Quäler immer und immer wieder dasselbe sagen hören: Wer zu uns gehört, braucht keine Angst zu haben! Den bringen wir nicht um. Wir bringen nur die um, die uns umbringen. Denen ist egal, dass wir verrecken, also ist es uns egal, dass die verrecken. Mir kommt vor, damit ist das entsetzliche Problem benannt, zugleich aber die Lösung, Befreiung daraus. (Ist eben immer was Prinzipielles. Einander z. B. da hier sicherstellen, künftig nichts zu tun, was den anderen schädigen könnte.)

Egon Christian Leitner, Jänner 2022

 

 

Egon Christian Leitner: Was jetzt, was tun? (Teil II)

Nichts müsse so bleiben, wie es ist, weder im Guten noch im Schlechten. Ein jegliches Gutes könne verloren gehen; ein jegliches Übel abgeschafft. Immer nur das, was man geschehen lasse, anstatt es zu durchkreuzen, geschehe vollends. Die Aufzwingungen, Einschüchterungen, Tricks und Schwindeleien, welche die Mächtigen und Wichtigen aller Zeiten ausmachen, zu demaskieren, wie die Komödien-, Tragödien- und Romandichter von Molière bis zur Jelinek dies tun, erachte er für seine Aufgabe als Wirklichkeitswissenschaftler, sagte Bourdieu des Weiteren: nämlich mittels Nüchternheit und Lachenmachen entgegenzuwirken der Gewalttätigkeit von Illusionen, Automatiken, Gewohnheiten, Symbolen, Hierarchien und Institutionen. In den öffentlichen Auseinandersetzungen allerdings seien die Gegner einander oft bloß Komplizen, Mitwisser und Mittäter; die beteiligten Seiten lenken und bringen einander vom wirklich Wichtigen, das zu tun ist, ab. Bourdieus Gegenansinnen war z. B. ganz elementare Fragen zu stellen und gemeinsam über die eigenen Fehler zu lachen. Lernend zu bewerkstelligen, dass Menschen einander verständlicher und freundlicher gesonnen sind. Dennoch wurde Bourdieu, bald in denunziatorischer, bald in etablierender Absicht, sowohl mit Lenin als auch mit Karl Popper verglichen. Den Ernst-Bloch-Preis hat er auch bekommen. Den Goethepreis andererseits genauso. Haben alle was zu bedeuten. Insbesondere der Goffman-Preis; denn in Goffmans Lebenswerk geht’s um die alltäglichen Maskeraden und Rollen und um Einrichtungen, die für Hilfesuchende und Helfende schleichend wie plötzlich zu Stätten des Unterlebens und Abstürzens werden, statt dass sie solche des Überlebens, Wohlergehens und Gedeihens wären und bleiben. Nur weil Galilei die Gesetze der Schwerkraft entdeckt hat, sind wir imstande zu fliegen, sagte Bourdieu über die menschliche Freiheit und dass das Schicksal in Wirklichkeit nur zwischenmenschliche Willkür und Gewalt sei. Den griechischen Stoikern und den Sophisten war er dabei wahlverwandt. Die Stoiker unterschieden ja zwischen dem, was bei ihnen liege, und dem, was nicht. Das Ihrige änderten sie flugs und beharrlich, und dieselben Fehler machten sie kein zweites, drittes oder viertes Mal. Dergestalt eben verstanden sie ihre Freiheit. Bruch und Brechen heißt das bei Bourdieu. Bei den Sophisten Parrhesie, Widersprechen. Mit Max Weber hatte Bourdieu auch viel gemeinsam, Objektivität war das Um und Auf für beide, nämlich die Bereitschaft, Fähigkeit und Fertigkeit, nicht zu entstellen, Menschen nicht und Sachverhalte nicht. Menschen vielmehr behilflich zu sein, das Wollen zu klären. Die Widersprüche und Konsequenzen sichtbar zu machen. Dadurch die Wahl- und Entscheidungsfreiheit zu ermöglichen. Durch einen seiner Schüler, Pollak mit Namen, war Bourdieu mit Österreich vertraut, von 1900 bis in die Gegenwart. Als sadomasochistisch hat Pollak die vorherrschende, prominente Intelligenz der Vor- und Zwischenkriegszeit erklärt. Und die Gegenversuche dazu beschrieben. Was Bourdieu dann sozusagen 100 Jahre später europaweit vorhatte, das wirksame Sammeln der Sozial- und Alternativbewegungen – nirgendwo, wette ich hiermit, gedieh das so weit wie in Österreich. Das österreichische Sozialstaatsvolksbegehren 2002 war Bourdieuisch. Doch starb Bourdieu 2002, die weiteren Kooperationsvorhaben wurden nicht mehr realisiert. Für Bourdieu gab es jedenfalls nichts Provokanteres als Wissenschaft, das heißt als Autonomie und öffentliche Wahrheitsfindung. Immer geht es in seinem Gesamtlebenswerk um Menschen in Zwangssituationen, unten, oben, mitten drinnen. Den Sozialstaat erachtete er als Erzeugnis der Evolution, sozusagen als das Beste, was es bisher unter Menschen gab. Entstanden durchaus aus Zufällen, Glücksfällen, die als solche erkannt, geschätzt, geschützt wurden und zugleich aber das Ergebnis unglaublicher, schrecklicher Kämpfe waren. Daher dürfe der Sozialstaat ja nicht von neuem dem Zufall preisgegeben werden. Ja nicht diesen furchtbaren Preis von neuem zahlen müssen, nämlich das Insgesamt der menschlichen Qual, seit es uns gibt. Kleine soziale Wunder, Kostbarkeiten ‒ Bourdieu nannte die Menschengruppen, die für den Sozialstaat kämpfen, so, die Bewegungen, Hilfseinrichtungen, NGOs. Er meinte, gegenwärtig sei eine rechte Revolution nach der anderen im Gange ‒ eine permanente neoliberale Revolution, durch die der Staat mittels des Staates außer Kraft gesetzt werde. Und die Linken und Alternativen seien aber immer 2, 3, 4 Revolutionen hintennach; können gar nicht so schnell begreifen, geschweige denn dazwischengehen, geschweige denn wirklich, rechtzeitig und gemeinsam. Sie seien auch nicht imstande, untereinander das Konkurrenzprinzip, das Du oder ich!, das Jeder gegen jeden! und Jeder muss selber schauen, wo er bleibt!, wo nur irgend möglich außer Kraft zu setzen. Die Demokratie-, Solidaritäts-, Friedensmethode des Konflikttheoretikers Bourdieu ist praktiziert in Das Elend der Welt. Da respektive durch es erzählen angeblich banale alltägliche Menschen wie – Pardon – Du und ich einander ihre angeblich mehr oder weniger unwichtigen Leben, Wegwerfleben, und was sie fürchten, was sie sich wünschen, was ihnen wehe tut. Und zwar Menschen vom Bauern bis zum Untersuchungsrichter, von der Polizistin bis zur Postangestellten, vom Weinhändler bis zum jungen baldigen Neonazi, vom Migrantenbuben und dessen Hausmeister bis zur kleinen Geschäftsfrau oder bis zum Sozialarbeiter oder bis zum Autoschlosser in der riesigen Fabrik oder bis zur Lehrerin oder zum Schuldirektor oder zum Versicherungsvertreter oder zur Leiterin eines Frauenhauses und so weiter und so fort: Es erzählen also Menschen, die einander ansonsten unbekannt, gleichgültig oder gar widerwärtig sind, einander ihr Leben. Indem sie einander angeblich Banales erzählen, das in Wahrheit lebenswichtig ist, entmachten sie Stück für Stück diejenigen Wirtschaftsherren und politischen Machthaber, von denen sie beruflich und alltäglich in ihre jeweiligen Lebenssituationen, Konflikte und Kämpfe, ins Ohne- und Gegeneinander gezwungen werden. In Bourdieus Augen ist das Berufsgeheimnis das größte Problem. Denn dadurch ändere sich nie etwas. Für die Ausübenden der helfenden Berufe zum Beispiel. Dass man sich weder ein- noch aussperren lassen darf, sagte er auch. & dass man öffentlich eben ja über das reden solle, worüber üblicherweise nicht geredet wird. & immer mehr, immer mehr Menschen sollten das so machen. & immer mehr reden. Über ihre wirklichen Probleme. Die Menschen in Das Elend der Welt reden übrigens sehr wohl auch genau davon, was ihnen hilft und das Leben leichter macht. Was das ist und wäre. Politiker hingegen funktionieren oft wie Kleriker, sagte Bourdieu, und wie Bankangestellte. Er sprach von Menschenbankiers. Nicht zuletzt linke Gewerkschafter bezeichnete er so. Die Parteien seien heutzutage wie Banken, die Parteisekretäre wie Bankiers. Rechte Bankiers, linke Bankiers, Banken, Bankiers und kleine Bankangestellte. Alltäglich gewordene Begriffe und Fügungen wie Habitus, Soziales Kapital, Kulturelles Kapital, Bildungskapital, Feld, feine Unterschiede stammen in hohem Maße von Bourdieu. Verharmlosend wie der inzwischen übliche Gebrauch sind die bei ihm nicht. Habitus z. B. sind Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata, quasi unsere Hirngrenzen, in die wir eingesperrt sind. Über die Liebe hat Bourdieu auch geschrieben und warum die eine glückt, erlaubt ist und zustande kommt, und die andere nie und nimmer. /// Ein paar Reaktionen ‒ Glück gehabt! ‒ hat’s ja dann doch gegeben auf die Wortmeldung von mir da hier im Januar. Sowohl bei den netten als auch bei den abmahnenden haben die Wörter Solidarität, Goldene Regel, Respekt und Inklusion und Utopie und utopiefeindlich die Überhand gehabt, übersehen, unrealistisch und trivial und Anarchie und Thema auch und sich übernehmen. Und hoffen. Und Angst. Klarstellend: Ich will’s nicht länger leiden, dass alles immer mehr durcheinanderkommt. Z. B. dass Thema gesagt wird statt Problem, denn die wirklichen Leut’ haben eben, kommt mir vor, nicht Themen, sondern Probleme, wirkliche; oder wenn angeberisch Herausforderung gesagt wird statt Problem in einem fort; außerdem ist’s eine falsche Übersetzung, denn Problem heißt wortwörtlich Vorwurf und Herausforderung wortwörtlich Provokation. Respekt fehlt mir tatsächlich oft. Bin nämlich in der Zeit von Respektspersonen aufgewachsen; also z. B. mit der Drohung Wir werden Euch schon noch Respekt beibringen. Am Respekt finde ich daher nur mehr das Respice finem gut. Auf Deutsch: Man soll sich immer die Folgen vergegenwärtigen. Böses Ende. Oder gutes Ende. Vom Ende her alles. Ansonsten mag ich keinen Respekt. Rücksicht schon, die ist wichtig für alle. Für mich auch. Und meinerseits. Die Übersetzung Rücksicht ist gut, finde ich. Einmal habe ich einen Menschen sagen hören: Die hier haben keinen Respekt vor mir. Die machen mit mir, was sie wollen. Das habe ich verstanden und es darf nicht sein. Es war auch für Leib und Leben gefährlich damals. Den Respekt, den der drangsalierte Mensch verlangt hat, verstehe ich. So ein Respekt ist nicht doof. Statt Solidarität wäre mir aber halt lieber, dass die Leut’ endlich synchron sein können. Die sind nie gleichzeitig. Aber wie soll man was zusammenbringen, zustande bringen zusammen, wenn man nicht zugleich ist. So viele Gruppierungen gibt’s, die an so vielem Wichtigen arbeiten; oder die was Wichtiges versuchen, aber eben nicht zugleich; nicht zusammen. Und deshalb reicht’s nicht aus. Jetzt wäre aber eh alles da, man bräuchte nur synchron zu sein, finde ich. Solidarität ist mir jedenfalls nicht geheuer. Soldat und Sold kommen dort her. Marx hat den Begriff m. W. gar nicht oft und gern verwendet. Lieber Assoziation. Freie Assoziation freier Individuen z. B. hat er gesagt statt Solidarität. Das mag ich, beim Frei-Assoziieren fällt allen viel ein. Solide und Solidarität gehören auch zusammen, solide mag ich zwar auch … In solidum obligari, daher kommt Solidarität ursprünglich: Jeder haftet fürs Ganze. Jeder für jeden, jeder für alle. Für den ganzen Pallawatsch. Marx wie gesagt war eher für freie Assoziationen. Wie ich eben. Dass ich mich übernehme, machen sich ein paar Leut’ Sorgen. Das stimmt zwar, aber was bleibt mir übrig. Ob ich will oder nicht: Auch ich hafte fürs Ganze, weil auch mich und die Meinen die Folgen des ganzen Pallawatsch treffen. Inklusion macht mich auch immer nervös, weil’s nach Einschließen klingt und Einsperren, ist aber gut gemeint. Doch will ich mich weder einsperren noch aussperren lassen. (Siehe Bourdieu!) Ich sei sowohl utopisch, mit meinen Vorstellungen vom Sozialstaatsvolksbegehren z. B., als auch utopiefeindlich. Ich wolle nicht verstehen, dass Menschen sich sagen, ein Sozialstaatsvolksbegehren sei Knochenarbeit und wenn dann nichts rauskommt dabei, was für ein Verschleiß an Kräften und Ressourcen das ist! Am besten solle doch die Gewerkschaft so etwas machen. ‒ Hat was für sich. 2002 war das ja wirklich so, ohne ÖGB hätte es das Sozialstaatsvolksbegehren nicht geben können, von den Betriebszugängen her nicht und finanziell auch nicht. Ich glaube aber für jetzt da hier ist das irrelevant. Durch die sozialen Medien ginge alles weit billiger und leichter. Außerdem hat der ÖGB vielleicht eh kein Geld. Zwar nicht wie dazumal wegen der BAWAG, aber kein Geld eben. Es wird vielleicht wegen Corona nicht gar so viel da sein. Wegen der Wirtschafts- und Beschäftigungslage in der Corona-Zeit. Wegen der Einnahmenrückgänge eben. Und der ÖGB investiert außerdem in Wissenschaft und Forschung. Mir würde es jedoch halt schon sehr gefallen, wenn Simulationsforscher und Modellierer ein Soziastaatsvolksbegehren durchspielen oder der MOMENTUM-Think-Tank ein solches sich durchdenkt realiter. Im AK-Blog steht seit einer Woche außerdem eine Art Aufrufschlusssatz, dass keine Zeit mehr verloren werden darf, was den Sozialstaat betrifft. Also bitte! Utopiefeindlich bin ich jedenfalls gewiss nicht, allerdings interessieren mich die atopoi mindestens so sehr. Atopos, in der Antike war das der Nichtdazugehörige, Deplatzierte, Deviante; Sokrates z. B. ist so genannt worden. Freiheit ist jene kleine Bewegung, die einen Menschen macht. Von Sartre ist das: Menschen in Situationen und Strukturen, alle stärker als die Menschen selber, aber plötzlich diese kleine Bewegung! Atopische. Im atopischen Menschen drinnen ist die; diese „meine“ Utopie. Immerhin habe ich, durch eine Reaktion auf meine Jänner-Wortmeldung da hier, mitbekommen, dass die Grazer KPÖ eine Pflege-Volksbefragung durchführen wird. Das ist fast wie ein Volksbegehren (und wie 2019 gegen die Spitalsschließungen im obersteirischen Bezirk Liezen). Habe freilich jahrelang nicht verstanden, warum die KPÖ weder ein Sozialstaatsvolksbegehren noch ein Pflegevolksbegehren ins Leben gerufen hat. Letzteres wie gesagt tut sie nun – endlich tut’s wer! ‒ und ausdrücklich als Sozialstaatspartei definiert sie sich selbst. Bürgermeisterin Kahr hat jederzeit ihre Sprechstunden, auch am Wochenende. Helfen eben und wissen, was los ist ‒ dazu brauche sie keine Studien, sondern sie erfahre es von den Menschen, die zu ihr kommen. Ich glaub’, das Ganze ist wirklich so einfach. Hat auch mit dem Peter-Prinzip zu tun. Das ist lustig und besagt, dass in der Karriere bis zur Unfähigkeit aufgestiegen wird. Immer eine Position zu weit. Dort ist man dann eitel, unnütz und destruktiv. Ein einziges reales Gegenbeispiel, vorbildliches, hat Peter genannt: eine Volksschullehrerin, die nichts sonst wollte als in der 1. Klasse unterrichten. Nicht einmal Direktorin wollte die werden. Die Kinder lernten bei ihr am meisten, schnellsten, leichtesten, liebsten und sie war für die Kinder und die Familien die größte Hilfe im Leben. Ich erkläre mir die KPÖ Graz so. Und ein bisserl mit Small is beautiful. Den Erfolg wie den Selbstschutz. Als Art Familienbetrieb & Partei für den Alltag löst die Grazer KPÖ die basalen Probleme seit jeher basal. Die Care-Gruppen und -Bewegungen jetzt sind ähnlich, in Graz die z. B. Was vielleicht langsam erscheint und klein in klein, ist in Wirklichkeit verlässlich und konsequent. Sorgsam und sorgfältig eben und vor- und fürsorglich. Bourdieu wie gesagt hat von solchen Bewegungen geschwärmt. Gehofft auf die. Hoffen ist, vom Wort her, wenn man hüpft vor Freude. Zweimal habe ich derlei gesehen, zwei aufgegebene, halbtote Menschen. Sich nicht mehr bewegen können. Und alles ist jetzt wirklich wieder gut. Das ist Hoffen. Im Übrigen: Rot-Rot-Grün hätte es vor und statt ÖVP-Bürgermeister Nagl nun schon seit fast zwei Jahrzehnten geben können, die SPÖ bot es 2003 an, die KPÖ wollte nicht. Blieb klein und unten und bei sich. Volksbegehren bewerkstelligte sie auch nicht, hatte ja Volkshaus und Volksstimme usf. und tat sowieso, was sie konnte, und sichtlich weit mehr eben als die anderen ums Volk und die Macht konkurrierenden Parteien. In der Folge hat jetzt niemand mehr eine Ausrede in Graz.

Egon Christian Leitner, Februar 2022

Egon Christian Leitner: Was jetzt, was tun? (Teil III)

Eine ukrainische Mutter gesehen heute, die gelacht hat, weil ihr kleiner Bub gelacht hat. Der hat zu Boden geschaut, ist zu ihr gelaufen und hat eben gelacht, dabei irgendwas laut gesungen oder gesummt voller Freude. Und die Mutter hat ihn eben angeschaut und bei den Armen genommen und eben auch gelacht. Sie sagte, wie wenn verlegen, zu den Leuten von da hier, er mache die Sirene nach, und wurde daraufhin gefragt, warum sie da denn lachen. Aus Nervosität, antwortete sie. Mir ist dann eine Frau eingefallen, die bei einem Flugzeugproblem in den Turbulenzen ihr Kind ein paar Mal leicht in die Luft geschubst hat und schnell wieder sicher aufgefangen hat wie beim Spielen und Ist das lustig! gerufen hat jedes Mal dem Kind zu, Ist das lustig!, und beide haben gelacht dabei wie beim Spielen eben. So lachen können jetzt! So lachen können! Vertrage den Ernst der Lage nicht und die ernsten Gedanken und Gespräche der Leut’ dazu auch nicht. Alles, was aufregt, vertrag ich zurzeit schlecht. Mir kommt eben vor, die Leut’, wir halt, täten gut daran, es untereinander so zu halten wie das Kind und die Mutter da heut’ und die Mutter das Kind. Es käm’, kommt mir vor, mehr Vernünftiges raus bei allem, was uns da hier in den Sinn kommt. Aber wie man das jetzt überall im Alltag macht wie die schubsende und die lachende Mutter, auffangende, liebevoll konzentrierte, weiß ich nicht. Aufs Wichtigste auf der Welt ist die eben konzentriert, kommt mir halt vor. Zugleich mir dann wieder eingefallen eine Art Parade vor Jahren. Ein kleiner Bub hatte die Haare wie Putin geschnitten und auch sonst war seine Gestalt dem Präsidenten sehr ähnlich. Putin sieht ihn lange an. Legt beide Hände auf die Schultern des Jungen. Schaut ihm in die Augen. Hebt plötzlich dessen Hemd hoch und küsst den Jungen auf den Bauch, zwischen Nabel und Brust. Erhebt sich wieder und geht, und der Bub rennt weinend davon. Das war damals wirklich so. // Später dann heut’: Zwei Wochen Kampfkraft habe Putin nur mehr zur Verfügung, gibt der britische Geheimdienst bekannt. Zwei Wochen nur mehr! Ja, wenn das so ist: Das halten wir durch und dann ist es vorbei und die Ukraine ist frei. Und ich Trottel, ich Depp wollt’ sofort am ersten Kriegstag unter die Leut’ bringen, dass bitte kapituliert werden soll und die Ukraine bitte, bitte nicht halluzinieren soll, der Westen werde ihr wirklich zu Hilfe kommen, Entsatz bringen, Abhilfe schaffen. Und der Westen, der Westen, der solle bitte, bitte auch nix halluzinieren, wollte ich auch unter die Leut’ bringen. Kapitulieren, nicht halluzinieren! war meine Parole. Entweder sofort kapitulieren oder sofortiger NATO-Einsatz vor Ort! Da hätt’ ich also (hätt’ ich was zu sagen) schön was angestellt gleich am ersten Kriegstag mit meiner Losung. Hab mich dann wegen der Toten und wegen der Gequälten und wegen der Schutz suchenden Zehntausenden und Hunderttausenden und Millionen Flüchtenden und wegen der vernichteten Lebensgrundlagen durchgeschämt die zwei Wochen bis heut’ jetzt, dass ich nichts gesagt hab am Anfang gleich. Aber gut war’s, dass ich so feig war. Bloß zwei Wochen in Wirklichkeit jetzt noch und alles wird gut! Ist gut! Mir war bislang auch oft, wie man so sagt, von Herzen schlecht beim Nachdenken, der Westen, „wir“, rede der ukrainischen Bevölkerung ein, sie könne sich Putins selber erwehren und seiner befreien, und ich vermeinte, von der russischen Bevölkerung verlange der Westen dasselbe. Die halluzinieren alle, hab ich zu mir feig im Stillen gesagt. Die Ukrainer halluzinieren den Westen; und der Westen halluziniert sich selber und auch die NATO halluziniert sich selber und die EU halluziniert sich auch selber. Die Ukrainer geben infolge der vielen Halluzinationen überall da rundherum nicht auf; und halt grad deshalb nicht, weil die ganze freie Welt ihnen ja wirklich verspricht, dass sie auf ihrer Seite ist. Die Ukrainer hoffen daher irgendwie auf den Weltkrieg. Sozusagen. So blöd war ich die ersten zwei Kriegswochen lang! Obwohl ja im Fernsehen eh sofort immer gesagt wurde, der Putin habe einen 1-, 2-, 3-Tage-Blitzkrieg kalkuliert, diesen also offensichtlich verloren und müsse aus dem Ganzen möglichst schnell und ohne Gesichtsverlust wieder raus. Ich hab’s aber, dumm wie ich bin, nicht geglaubt, dass das wirklich so ist. Zumal’s ja in der Ukraine zuvorderst um den einzigen eisfreien, deshalb unverzichtbaren Meereszugang der Russen geht samt Versorgungskorridor auf dem Land. Der Kriegsberichterstatter Fritz Orter, welcher das nachgiebige Verhalten des Westens Putin gegenüber als verfehlt und fahrlässig wirklich immer benannt hat, rechtzeitig somit, hat das 2015 einmal so erklärt. In einem Auswege-Gespräch. So hieß das. Vom Helfen und vom Wohlergehen oder Wie die Politik neu und besser erfunden werden kann hat das Ganze damals ganz genau geheißen. Warum gibt es kein Schulfach, Unterrichtsfach, das Helfen heißt?, hat er damals gefragt. Und den ganzen damals frisch eingefrorenen Konflikt, frisch eingefrorenen Krieg der Russen gegen die Ukraine erklärt. Hat der wirklich. Kommt mir halt vor. 2015 wie gesagt war das. Jetzt bald sind’s Gott sei Dank bloß nur mehr die zwei Wochen und das war’s dann. Zwei ist außerdem irgendwie supereinfach für die Seele! Tut der psychologisch gut wegen der Kürze und der Übersichtlichkeit. Man sieht sich raus, sozusagen. Im Ersten Weltkrieg ist zu unseren Soldaten zwar am Anfang auch gesagt worden, in zwei Wochen sind sie wieder daheim. Die ukrainischen Flüchtlinge jetzt glauben das auch oft. Aber bei ihnen jetzt wird’s jetzt ja wirklich so sein. Zwei ist überhaupt super. Z. B. hat heut’ der Tesla-Chef, der Musk (fürs bedingungslose Grundeinkommen für alle ist der auch, super ist der), den Putin zum Zweikampf herausgefordert. Zum Zweikampf! Um die Ukraine zum Zweikampf. Total isoliert wird Putin sowieso. Das ist auch super. Denn vor einem Verbrecher darf man nicht kapitulieren! Niemals! Vor einem Verrückten auch niemals! Vor einem solchen Hitler! Was war ich für ein schlechter und dummer Mensch, dass ich fürs sofortige Kapitulieren war! Oder halt für den sofortigen NATO-Einsatz vor Ort! Entweder oder! So war ich im Hirn. Entweder weiße Fahne oder es ist Krieg und wir NATO und so gehen alle hin! Sofort! Durch meine Stupidität wären wir also seit zwei Wochen allesamt atomar. Oder versklavt. Gott sei Dank haben die stattdessen alles richtig gemacht: die NATO, die EU und die USA, alle jeweils Zuständigen halt; alles richtig gemacht! Ich hingegen hab mir die zwei Wochen lang dumm und falsch Folgendes eingebildet, nämlich: Wie sollen bei uns da hier diejenigen, welche die Politik gar nicht gut können, jetzt den Krieg können? Der ist ja doch noch viel, viel schwerer als die Politik. Weil: Die Politik ist ja dafür da, dass kein Krieg ist unter den Menschen und dass es den Menschen wohl ergeht. Präventiv muss die also immer sein. Vorsorgend. Hab mich zum Glück in den Politikschaffenden da hier bei uns von Grund auf getäuscht: Die Unsrigen können’s wirklich. Zwei Wochen, alles wird gut! Juhu! Nix Afghanistan, nix Bosnien! Nix Kabul, nix Sarajevo! Juhu, juhu! Übrigens Corona – gegen das sind wir ja auch im Krieg – die Explosion ist angeblich in 6 Wochen vorbei. Dann geht’s uns so gut wie in Israel. Die dort haben keine Probleme mehr, hat’s heut’ geheißen. Vor 6 Wochen hatten die Leut’ dort noch unsere Probleme jetzt grad, jetzt aber eben haben die dort keine mehr, und wir werden daher eben in 6 Wochen auch keine mehr haben und alles ist überstanden. Die diesbezügliche Politik hierzulande und in der EU ist folglich kein Blödsinn. Alles durchgeseucht demnächst in Bälde und verherdenimmunisiert. Nein, nein, niemand wird verheizt, keinerlei Personal im Sozialstaat. // Friedensberichterstatter, einzig, würde er nur mehr werden wollen, nicht Kriegsberichterstatter, sagt Fritz Orter oft. In 14 Kriegen Kriegsberichterstatter ist der gewesen auf dem Globus und den Kontinenten. Als Krisenberichterstatter die beginnenden Konflikte öffentlich analysieren und die Menschen in den sicheren Staaten rechtzeitig dafür interessieren, was sowohl dort in den gefährdeten wie hier in den stabilen im Guten getan werden kann, damit es nicht zu den Eskalationen und Bluttaten ohne Ende kommt, will er. In seinem zweiten Leben jetzt sozusagen. Für ihn war das Geistige eine Überlebensfrage, die Musik, die Gedichte waren das, die Lavant, Mozart. Die Gedichte auch dafür gut, dass die Fassung und der Halt nicht verloren gehen, alles wesentlich gesagt werden kann und kurz und genau und schnell, geistesgegenwärtig eben. Mozarthören in einem Kellerloch in Sarajevo, unter Beschuss und eingekesselt, als Beweis dafür, dass es jenseits dieses Wahnsinns etwas gibt, das sich zu leben lohnt. Die Zerstörung der Vernunft nicht zulassen, darum geht es. Ob’s geht, ist eine andere Frage. Gleichzeitig und ungleichzeitig alles, und alles wiederhole sich, an jeweils verschiedenen Orten oder sogar an denselben. Was im Journalismus, so Orter, aber trotzdem fehlt, ist, dass Entwicklungen, Fehlentwicklungen, vorzeitig und rechtzeitig benannt und berichtet werden, was ja durchaus möglich wäre. Es ist ja zu durchschauen und man kann es kapieren. Der Kriegsjournalismus müsse präventiv und prophylaktisch sein und werden, Friedensarbeit eben. Seine Weise der Berichterstattung habe er immer als Opferberichterstattung verstanden. So Hilfe zu ermöglichen mitversucht. Ärzte ohne Grenzen und z. B. die österreichischen Notfallchirurgen Werner Vogt, den Pflegeanwalt, den Sozialstaatsvolksbegehrler, oder Vogts Primar Poigenfürst hat Orter bewundert, als er sie im freiwilligen Einsatz in Kriegsgebiet wirklich kennen gelernt hat. Und wie die aus allem das Bestmögliche gemacht haben. Was in Afghanistan geschehen wird, wenn die Amerikaner abziehen, hat er Jahre vor jetzt benannt; wie die einen wegkönnen, die anderen nie. Die Ukraine hat er wie gesagt auch erklärt: In der Ukraine geht es ganz einfach um die Flottenverbände auf der Krim. Das ist der einzige eisfreie Zugang. Obwohl die Russen die Krim ohnehin schon okkupiert hatten, war dennoch deshalb kein Friede, weil sie einen Korridor brauchen, und der geht durch die Ukraine. Die Truppen auf der Krim müssen ja versorgt werden. Das geht nicht andauernd per Flugzeug. Und der NATO-Westen will natürlich amerikanische Politik umsetzen. Die Amerikaner wollen die einzige Weltmacht bleiben. Sie ziehen 40% ihres Militärpotentials wegen China im Pazifik zusammen, den Rest vor dem russischen Korridor. Und im Kosovokrieg ist es ebenfalls um die militärischen Interessen gegangen. Kosovo ist die größte NATO-Basis in Südosteuropa. Die Einflussmacht der Russen soll verringert und verhindert werden. Das Aufeinanderprallen der Russen und der USA war da durchaus gefährlich. Damals sind dort völlig unerwartet russische Truppen gelandet. In Priština. Der damalige Kommandant der NATO hat gesagt, wegen der paar russischen Soldaten riskiere ich keinen Krieg. Glück gehabt damals. Vor einem Dritten Weltkrieg hat Orter immer Angst gehabt, glaube ich. Die Tochter des Arztes, der unmittelbar nach dem Attentat von Sarajevo auf den österreichischen Thronfolger diesen zu beschauen hatte, hat Orter den Dritten Weltkrieg prophezeit. Krieg, hat Orter auch gesagt (von Karl Kraus ist das), ist zuerst die Hoffnung, dass es einem selber besser gehen wird, später dann die Erwartung, dass es dem anderen schlechter gehen wird, wieder später die Genugtuung, dass es dem anderen auch nicht besser geht als einem selber, und zum Schluss die Überraschung, dass es beiden schlechter geht. So sei der seelische Ablauf. Der Krieg verändere die Menschen völlig. Das mache ihm, Orter, Angst. Seine Angst hat Orter immer zugegeben und gesagt, ohne die sei man wirklich in Gefahr umzukommen. Und wie das ist, wenn mitleidlos schreckliches menschliches Leid im Fernsehen nicht gezeigt werden darf, um ja das Publikum nicht zu schockieren oder der Politik wegen; und dass, reklamepsychologisch, andererseits die Not und Furcht das Publikum verwirrt und hilflos und dadurch gierig macht nach den Werbeblöcken und dem Geld und dem Kaufen, weil ja Konsumieren die Aufregung stillt. Hat der alles gesagt, 2015 z. B. Ist z. B. jetzt so. // Warum gibt es in der Schule kein Unterrichtsfach, das Helfen heißt, und warum im Fernsehen kein Friedensprogramm? In der Schule ein Lernfach, das Helfen heißt, und im Fernsehen ein paar Stunden pro Woche ein Friedensprogramm! Auf jedem Sender die Analysen, was man wo tun kann, und in jeder Schule Helfen als Pflichtfach für da hier. Und endlich ein rechtzeitiges, präventives Sozialstaatsvolksbegehren zur Sicherung der Grundversorgungen, eine präventive Sozialstaatsbewegung zur Versorgungssicherheit, darum ist es gegangen, seit Jahren, Jahrzehnten. Ums rechtzeitige österreichische Sozialstaatsvolksbegehren wie gesagt, ums Helfen als rechtzeitiges Schulpflichtfach und um ein rechtzeitiges permanentes Friedensformat im ORF. So viel wäre erspart geblieben! So viel! Alles wäre einfach gewesen. Ganz einfach war’s. Ist’s. Eine Dokumentation wollte Orter einmal herstellen, handelnd davon, wie die Schicksale waren und sind. Was aus den Menschen wurde. Zum Beispiel der Mann, der in seinem Haus zu verbrennen drohte. Weil Orters Kamerateam filmte, wurde dieser Mann von den örtlichen Einsatzkräften gerettet, sonst hätte man ihn verbrennen lassen. Oder zum Beispiel ein Kind mit weggefetzten Beinen, der Vater hat es in den Armen gehalten; infolge der Anwesenheit des Orterschen Kamerateams und des Nachrichtenberichts wurde der Bub ausgeflogen und behandelt und lebt. Und zum Beispiel auch hat gerade Orters Berichterstattung aus Rumänien während der Revolution, vor allem aus Temeswar, dazu beigetragen, dass die österreichische Rumänienhilfe überhaupt möglich und hilfreich war und es bis heute blieb. Und wenn Orter zum Beispiel die beklemmenden Sprüche wiedergibt, die diverse Mordende immer wieder zu ihm gesagt haben: Wir bringen dich nicht um, du gehörst zu uns oder etwa Wir bringen nur die um, die uns umbringen, hätte Orter durch diese beklemmende Beschreibung der Kriegspsychologie Wesentliches zur Herstellung von Frieden beizutragen. Weil er in der Tat, einzig den Menschenleben verpflichtet, von Berufs wegen unideologisch berichtet hat, daher z. B. eben von der größten NATO-Basis in Südosteuropa im Kosovokrieg und vom den russischen Flottenverbänden unverzichtbaren Ukraine-Korridor. Alles war wie gesagt einfach. Ist’s.

Egon Christian Leitner, März 2022

Egon Christian Leitner: Was jetzt, was tun? (Teil IV)

Innsbruck, Wie geht’s jetzt weiter? Mit (Sozial-)Staat, Arbeit, Wirtschaft und Seele.
Universität Innsbruck, Theologische Fakultät, 30. April 2022.
Veranstalter: Diözese Innsbruck.

Begrüßung: Bischof Hermann Glettler (nimmt Bezug auf den Tag der Arbeitslosen, Aktion Was, wenn du fällst); Vizerektorin Ursula Tanzer, Universität Innsbruck.

1. Runde
Einleitend Leitner. Anschließend Armin Thurnher (Mitbegründer, Herausgeber und Chefredakteur der Wochenzeitung Falter): Die Zerstörung der Demokratie und die Medien; Andreas Exenberger (Wirtschafts- und Sozialhistoriker, Globalisierungs- und Armutsforscher): Armutsbetroffenheit in der Corona-Krise

Egon Christian Leitner: Was jetzt, was tun?
Oft, wenn sie plötzlich doch mutlos war, weil über die Menschen entsetzt, die von der Notwendigkeit, jetzt diesen Krieg konsequent zu Ende zu führen oder eben baldigst möglich jenen Krieg zu beginnen, unumkehrbar überzeugt waren, hat sich die Suttner als Medizin gegen die eigene Fassungslosigkeit daran erinnert, wie sie früher ja selber gewesen war. Dass sie da ja auch nichts kapiert habe. Kriege, Katastrophen, Elementarereignisse berührten sie vormals nicht wirklich. Weit weg war ja alles gewesen und es gehe ja ohnehin wieder schnell vorbei immer und das wirkliche Leben sei sowieso einzig da hier. Da hier! Die Eliten, in Besonderheit die Militärs da hier, hatte sie angestaunt als ob irgendwie anbetungswürdig und bei Bedarf jederzeit Großtaten wirkend. Helden und Märtyrer eben, welche die gerechte Ordnung ganz selbstverständlich und pflichtgemäß aufrechterhalten oder prompt wiederherstellen.
Geld im Übrigen war der jungen Suttner stets ziemlich egal gewesen; ihrer Mutter zwar auch, aber der Mutter dann doch nicht, denn die Mutter brauchte viel davon zum Verspielen in den Casinos und ärgerte sich über die Tochter, weil die zu Geld keinerlei Liebesempfinden verspürte und daher sich von der Mutter partout nicht zu Geld machen lassen wollte mittels Verlob- und Verheiratung. Verstanden, was wirklich los ist, hat die Suttner, heißt es, zum ersten Mal in Russland, da war plötzlich Krieg und kein Entrinnen, und die Verwundeten, Sterbende auch, lagen bei ihr und ihrem geliebten Mann im Haus im Kaukasus herum, und überall, drinnen wie draußen, bestand Seuchengefahr.
Nobel, dessen Privatsekretärin die Suttner bekanntlich kurz war und dessen Familie durch die Arbeit für den russischen Zaren reüssiert hatte, hoffte verzweifelt und stur darauf, dass durch seine furchterregenden bisherigen Erfindungen und dass durch noch entsetzlichere künftige chemische und technische Einfälle, auch solche anderer Unternehmer, Kriege zu führen in bereits unmittelbarer Zukunft absolut unmöglich sein werde. Das absolute Gleichgewicht des Schreckens hatte Nobel da im Sinne mithilfe von seinem Dynamit und mit den künftigen Kriegsmaschinen der anderen und seiner selbst. Die Suttner, derentwegen und der zuliebe dem Alfred Nobel die Friedenspreisstiftung in den Sinn kam, glaubte ans Gleichgewicht des Schreckens meines Wissens keine Sekunde lang. Ans Rote Kreuz glaubte die Suttner meistens aber auch nicht. Sehr oft überhaupt nicht an die humanitären Hilfen samt deren Organisierbarkeit im Krieg. Die machten ihr fast Angst. Ebenso die humanitären Abkommen zwischen den Staaten gegen die Gräuel und gegen Kriegsverbrechen und zum Schutz der Zivilbevölkerung und auch zum Schutz der gefangengenommenen Soldaten. Denn die Kriege, meinte sie, seien die Verbrechen und in Wirklichkeit weder begrenzbar noch rationales Handwerk noch humanisierbar, sondern eben kriminell, sowohl in den jeweiligen Folgen als auch in der jeweiligen Ausführung. Sowohl die neue viele Waffentechnik als auch die humanitäre Hilfe heizen die Kriege an, statt die Kriege zu verhindern oder zu beenden. Dergestalt sah sie den Zusammenhang. Als Illusion aller Beteiligten und Täuschung der Bevölkerung. Helfen im Krieg sei nicht dasselbe wie Abhilfe schaffen, damit kein Krieg ist. Den Zeitungen ihrer Zeit vertraute sie nicht über die Maßen, obwohl sie ja selber Journalistin war und gut, prominent, institutionell und elitebewusst vernetzt. Vielmehr war sie sich freilich gewiss, dass die Menschen da hier jetzt in Wirklichkeit keinen Krieg wollen. Die Regierungen jedoch und deren Zeitungsleute und Theatermacher reden über die falschen Dinge und auf die falsche Art und Weise und behaupten Sachverhalte, die seit Jahrzehnten so einfach nicht mehr wahr seien. An etwas Ähnliches wie die künftige UNO oder die EU glaubte sie bekanntlich schon. Durch derlei würde alles ganz gewiss anders werden. Gut eben irgendwie.
Als Mädchen, Kind noch fast, hat die Suttner mit einer Freundin zusammen Romane dramatisiert. Die beiden haben die Schicksalsromane irgendwie durch- und einander vorgespielt und dabei die Beziehungen der vorkommenden Menschen zueinander umgestaltet. Die Menschen wurden ganz anders dadurch, just wie die Verhältnisse ganz anders. Man konnte sich was aussuchen im Leben. Solche Art Freiheit ist der Suttner zeitlebens lieb geblieben. Sie starb, unter hohem Druck einen Wiener Friedenskongress mitvorbereitend, eine Woche vor dem Attentat von Sarajevo. Dass die Kriege von nun an totale Kriege sein werden, hat sie vorausgesehen und -gesagt. Die Frauen, die Kinder, die Alten werden künftig ohne jede Rücksicht abgeschlachtet werden und Verwüstung, Hungersnot und Seuchen werden ohne Ende herrschen, denn die neu erfundenen Waffen werden zu Wasser, Luft und Erde allüberall jederzeit einsetzbar und von noch nie da gewesener Reichweite und Auswirkung und Vernichtungsgewalt sein. Die Kriege werden von oben nach unten gemacht, oben geplant und begonnen, unten durchlitten; diese künftigen Kriege von oben her werden, meinte sie eben, totale sein. Die Welt total anders dadurch. Nichts werde mehr sein können wie zuvor. Andererseits hat die Suttner trotz allem in hohem Maße tatsächlich sowohl an die bestehenden Institutionen und Eliten als auch an die Millionen neuen Einzelnen geglaubt. Dass diese zusammen die Maschinerie aufhalten und außer Kraft setzen können und mit ihren weißen Fahnen die Welt neu ordnen, bevor es zu spät ist.
Ohne Angst und ohne Andacht auf die Welt schauen und die Machthaber als Spielmaterial nehmen. Den Machthabern zum Spott. Der Spruch, das Motto, die Lebensmaxime steht in einem, wie ich meine, sehr frommen Werk – denn fromm heißt ja nützlich ‒, also in einem Werk, das z. B. da hier jetzt vielleicht sehr von Nutzen sein könnte und Der lachende Christus heißt. Vom Verfasser empfunden wurde Der lachende Christus als sanftmütige Fortsetzung eines Skandalbuches von gut 30 Jahren zuvor. Dieses hieß Jesus in schlechter Gesellschaft. Und der Urheber beider Bücher eben Adolf Holl. Mindestens 33 Bücher wollte der eigentlich schreiben, weil Jesus ja vermutlich 33 Jahre alt geworden sei in etwa. Holls letztes, 33., Leibesvisitationen heißt es, ist Fragment geblieben und Anfang. Von Holl, geboren 1930, gestorben 2020, gebe ich Ihnen, sehr verehrte Damen und Herren, beileibe nicht dazu Bericht, um die Theologen unter Ihnen zu brüskieren, sondern weil er unbestritten einer der humorvollsten, einfallsreichsten und gelehrsamsten österreichischen Ideenhistoriker, Ideologiekritiker und Erkunder von Totalitarismen einerseits, Devianz-, Alternativ- und Sozialbewegungen andererseits war (und des Alltags sowieso); die Österreichische Gesellschaft für Soziologie hat er, nebenbei bemerkt, ebenfalls mitbegründet. Apropos: Nebenbei war eines seiner Lieblingswörter, halbwegs auch, genauso die Fügung Das ist normal. Er hat sich nämlich nicht gern aufgeregt. Und deshalb hat er oft Das ist mir zu pathetisch gesagt. Vor allem und ausdrücklich wollte er weder Opfer noch Täter sein. In keiner Situation und in keiner Struktur. In der Folge hat er, so gut er eben konnte, sich nichts gefallen und sich weder ein- noch aussperren lassen. Die Öffentlichkeit und in die Öffentlichkeit zu gehen war für ihn Schutz. Als Wissenschaftler, als Journalist, als einer der legendären Club 2-Moderatoren und lange auch als Priester. Fast 20 Jahre lang war er Priester. Die Sakramente nicht mehr spenden zu dürfen, vor allem die heilige Messe nicht mehr lesen zu dürfen, hat ihn später dann zeitlebens wirklich gequält. Denn die Wandlung, das Wandlungsgeheimnis, die Kommunion, die Hostie waren für ihn das Lebenswichtige im katholischen Christentum. Die Verwandlung der Welt nämlich, der da hier drinnen und der dort draußen. Und die Sakramente waren für ihn, wenn ich ihn richtig verstanden habe, wie ein immer wieder neuerliches Wunder, ein unbefangenes, schuldloses Anfangen immerdar. Die unerschöpfliche Fähigkeit zum Neubeginn. Allen Ernstes hat er vertrauensvoll darauf gehofft, der Kardinal werde ihn, was ja de jure möglich gewesen wäre, zum 85. Geburtstag wieder die Heilige Messe zelebrieren lassen. Z. B. so beschaffen also war Holl. Dem Ernst Bloch geistig und emotional tatsächlich zutiefst verbunden. Dem Meister Eckhart übrigens auch. Die Dinge durchbrechen, von Meister Eckhart ist das. Und von Holl war das eine Lieblingsfügung. Zimzum, der behutsame, sich ganz winzig machende, allen Platz gebende Gott, kabbalistische Gott, war ihm auch sehr sympathisch, just wie die christlichen Kenotiker allesamt. Von denen z. B., also vom völligen Verzicht auf jegliche Allmacht und jeglichen Größenwahn und sämtliche Hierarchie, handelt Holls Lachender Christus. Charlie Chaplin hat er einmal den berühmtesten Kenotiker genannt, damit die Leut’ leichter verstehen, was Kenosis ist und was Kenotiker sind. Und den Sonnenuntergang am Ende jedes Lucky-Luke-Comics hat Holl bemüht, um den heiligen Franziskus und die heilige Klara, wie die beiden zusammengehörten, verständlich zu machen. Als Liebende nämlich. Doch, doch, das ist alles sehr wichtig, sehr verehrte Damen und Herren. Es geht ja um die Auswege da hier jetzt. In jungen Jahren hat Holl ein kurzes, erfolgloses Theaterstück geschrieben mit dem Titel Angstmann. Da lässt einer die Luft raus aus riesig aufgeblasenen Puppen, die typische Machtinhaber darstellen. Institutionelle und alltägliche aufgeblasene Autoritäten. Ohne Angst und ohne Andacht auf die Welt schauen und die Mächtigen als Spielmaterial nehmen, den Spruch im Lachenden Christus Jahrzehnte später nahm Holl von einem berühmten russischen Gelehrten, der vom Regime verurteilt, verfolgt und verbannt worden war und das Lachen, die Herrscher, die Helden, die Zeiten, das Reden und das Volk auf seine Weise erforschte und beschrieb. Bachtin hieß der und ständig Knochenschmerzen hatte der und ein Bein musste dem amputiert werden. Von Bachtin wie gesagt stammt Holls Satz im Wesentlichen. Holls Lachender Christus ist voller heiliger Narren, z. B. russischer wie syrischer. Die russischen reiten mitten im Winter nackt auf einem Holzpferd dem blutigen Zaren entgegen, damit dieser die Stadt nicht niederbrennt und die Menschen nicht massakriert. Und der Zar, der lässt tatsächlich ab. Von Politik hat Holl freilich nicht viel gehalten. In der Politik geschehen nämlich z. B. keine Wunder. Damit sich etwas ändere, brauche es stets mindestens Jahrhunderte; und heutzutage schaue es sowieso so aus, als ob sich nichts ändern werde, bevor nicht alles den Bach runtergegangen sei. In politischen Kämpfen gehe es prinzipiell immer nur darum, wer das jeweilige Machtsystem übernehme, niemals hingegen um die Änderung des Systems. Und die unten bräuchten ja doch nur zusammenzuhalten, tun die aber nicht, sondern die denken wie die oben. Zerbrechen sich deren hohle Köpfe. Werden selber hohl dabei. Holl hielt von Religion herzlich viel, zumal es in der Religion ums Wünschen gehe. Die Menschen sprechen auf diese Weise über ihr Innerstes. Die jeweilige Seele öffne sich da behutsam und vorsichtig und getraue sich zu denken. Holls religiöser Widerspruchsgeist hatte im Übrigen viele Gründe. Mussolini z. B. habe, hat Holl erzählt, ausdrücklich zu glauben befohlen: Glauben, gehorchen, kämpfen! Und ein übliches Kindergebet da hier funktionierte wie folgt: Händchen falten, Köpfchen senken, innig an den Führer denken, der uns Arbeit bringt und Brot, der uns hilft aus jeder Not. Holl wie gesagt wollte weder Opfer noch Täter sein. Und ihn interessierte, warum ‒ so seine Wahrnehmung ‒ in den römischen Katakomben Jahrhunderte lang Jesus nicht am Kreuz dargestellt wurde, sondern als guter Hirte.
Unglück in Glück drehen, gemeint ist die Fügung, wie wenn eine Hebamme das Kind im Bauch dreht, so das Baby und die Mutter außer Gefahr bringt. Diese richtige, gekonnte, gelernte, zuversichtliche, einfache Handgrifffolge bei der Geburt wird vollführt ‒ und alles geht gut aus in dem Moment. Kein Schicksal waltet. Das Leben und die Chancen sind doch da. Werner Vogt sagt die Worte manchmal: Unglück in Glück drehen. Seinen Beruf als Arzt, als politischer Arzt, hat er wohl so gesehen. Konflikten ist er, wie Sie, sehr verehrte Damen und Herren, vielleicht wissen, nur selten aus dem Weg gegangen. Vielmehr waren die Konflikte, sagt er, seine Form der Nächstenliebe. Die wirklichen Probleme auf diese Weise zu handhaben und zu lösen, war Vogts Ausweg. Nämlich die Öffentlichkeit, der öffentlich ausgetragene Konflikt, das Vertrauen in die Öffentlichkeit und in den Rechtsstaat; und der Schutz durch beide waren sein Ausweg. Anfang Februar hat Vogt Geburtstag gehabt. Er war zeit seines Berufslebens Unfallchirurg. In jungen Jahren war er freilich zuerst Volksschullehrer gewesen. Ein Tiroler, wie Sie vielleicht ebenfalls wissen, sehr geschätzte Damen und Herren, ist er; geboren in Zams, Landeck, und ab irgendwann studierte er Medizin in Wien und tat seine Arbeit dann dort so, dass er in der Folge bei den ihm Anvertrauten und Schutzbefohlenen beliebtest war. Bei Politikern hingegen des Öfteren nicht sehr. Vor ein paar Jahren wurde er für sein Lebenswerk ausgezeichnet, in Besonderheit für seine Zivilcourage, und zwar von der Ärztekammer, und vorvoriges Jahr bekam er einen höchst ehrenvollen österreichischen Menschenrechtspreis. Überreicht wurde der von einer Richterin. Der erste Wiener Pflegeanwalt ist er auch eine Zeitlang gewesen. Die Idee für solche wirklichen Anwaltschaften einzig zum Wohle der Patientinnen und Patienten habe ursprünglich ein mit ihm gut bekannter Tiroler gehabt, hat er einmal erzählt. Jedenfalls waren Vogts Gutachten gleich zutreffend wie unbestechlich. Des Weiteren hat er beispielsweise die Abhilfe schaffenden Einfälle, welche Heimbewohnerinnen und Heimbewohner und deren Angehörige ihm oft in größter Verzweiflung anvertraut haben, damit das Leben endlich leichter wird für sie oder damit das, was ihnen selber widerfahren ist, anderen erspart bleibt, öffentlich gemacht. Z. B. das Recht auf den Garten müsse es endlich geben, nämlich die Betten ins Freie schieben. So können auch diejenigen ins Freie, die nicht mehr aus dem Bett kommen. Und endlich ein für alle Male dafür gesorgt müsse bitte werden, dass genug nicht kaputte Rollstühle da sind und dass die Barrieren, die 2, 3 Stufen, überbrückt werden oder ganz weggemacht, damit wirklich ein Weg ins Freie da ist für jede und jeden im Heim. Und auch dass um Gottes willen doch ja ein Mensch da ist und Zeit hat, mitzugehen. Und prinzipiell dafür Sorge zu tragen sei, dass die Menschen im Heim ihren früheren Lebensrhythmus, Tag- und Nachtrhythmus, von zuhause eben auch im Heim beibehalten können und auch ihre ihnen wertvollen Lebensgegenstände von früher, z. B. ein paar Möbel. Und ein Grundrecht auf Lebensfreude müsse es sowieso endlich geben; und die frühere Lebensgeschichte müsse jemanden interessieren dort im Heim. Und das Essen müsse, zumal ja basale Sinnestätigkeit, köstlich sein statt abstoßend. Und möglichst nahe dort habe man die Heimplätze den Menschen sicherzustellen, wo die Menschen daheim waren, nicht irgendwo total weit weg von früher und dadurch total isoliert von allen und von allem. Grundsätzlich dürfen die Pflegeheime, so Vogt, niemals zu isolierenden und geschlossenen Anstalten werden, sondern müssen stets offen sein – denn durch die Offenheit und Öffentlichkeit der Einrichtungen bekommen sowohl die Patienten als auch das Pflegepersonal Hilfe von draußen und wird ihre alltäglich zugemutete Lebens- und Berufsnot zumindest gelindert; z. B. Aktion unschuldiger Blick hat Vogt derlei einmal genannt und die österreichische Bevölkerung dazu aufgerufen. Und das weiße Nachtkästchen darf um Gottes Willen nicht zum einzigen Privatraum der alten Frauen und alten Männer werden, hat eine Tochter an Vogt einmal voller Schuldgefühle in einem Brief geschrieben. Und die Motorik und Selbstständigkeit müssen mit allen Mitteln den Menschen solange nur irgend möglich aufrecht erhalten werden und die Intimsphäre absolut gewahrt. Und alles, was die Heimbewohner und die Angehörigen und die Schwestern und Pfleger zur Erleichterung vorschlagen und was sie alle eben selber sagen, dass sie brauchen, und was ihnen sinnvoll erscheint, müsse irgend möglich wirklich realisiert werden. Der Schutz, die Stressminimierung, die Autonomie und das Wohlergehen der Pflegepatienten seien außerdem zugleich der Schutz und das Wohlergehen der Pflegenden. Denn je unselbstständiger, abhängiger, hinfälliger und zerbrechlicher Menschen werden, z. B. durch Windeln und Schlaftabletten infolge der Einsparungen an Personal, Zeit und Geld, also je schäbiger, unzumutbarer, schwerer und rechtsverletzter das Leben den Heimbewohnerinnen und -bewohnern gemacht wird, umso schwerer, unzumutbarer und rechtsverletzter werden dadurch wie gesagt das Arbeitsleid und das Berufsleben der Schwestern und Pfleger. So einfach ist das alles. Es steht beispielsweise bei Vogt seit Jahrzehnten so publiziert. Man hat jedoch politikerseits das Menschen gefährdende Grundproblem, die gefährliche Grundstruktur, seit immer schon ignoriert, und so auch jetzt dann eben beim Isolieren der Pflegeheime im Jahr 2020 folgende. Man hat also die Pflegeheime zu geschlossenen Anstalten gemacht und dort drinnen sowohl die zu Pflegenden als auch die Pflegenden mit ihren Schwierigkeiten mutterseelenallein gelassen. Im Stiche eben.
Das Sozialstaatsvolksbegehren. Europaweit. Von Österreich aus das Ganze. Werner Vogt z. B. hat so etwas immer wieder zu realisieren versucht. Angeblich hat zwar hierzulande noch kein Volksbegehren je etwas bewirkt und glauben alle, es gehe bloß um Unterschriften. Falsch! Das österreichische Sozialstaatsvolksbegehren 2002, initiiert damals wie gesagt z. B. von Vogt und von Johanna Dohnal sowieso, ging bloß zu schnell (vorbei). Und, obwohl geglückt, infolge von Parlamentsauflösung infolge von Haider samt damaliger regierungsmachthabender Buberl- und Mäderlpartie in die Binsen. Das Potential wären wohl 1,5 Millionen Stimmen gewesen. Es hätte ein österreichweiter Diskussions- und Lernprozess werden sollen zum Zwecke der gemeinsamen Prävention vor künftigen Katastrophen. Im Gesundheits-, Pflege-, Bildungswesen, Wirtschaftsgebaren und Arbeitsleben. Die Sicherung ausreichender Grundversorgung in allen Bereichen. Geschützt dies durch die Verfassung. Wäre es bereits 2002 gelungen oder wäre die Idee, es zu wiederholen, nicht am Eigennutz von Parteien und Verbänden gescheitert, wäre der österreichischen Bevölkerung, bilde ich mir halt ein, viel jetzige Unbill erspart geblieben. Das Sozialstaatsvolksbegehren jetzt endlich wieder zu bewerkstelligen, würde da hier vor Schrecknis und viel Schlimmem bewahren. Angesichts des Weltwirtschaftskrieges und der permanenten Seuche und der weiteren anstehenden Naturkatastrophen und des totalen Ukraine-Massakers ist ein Sozialstaatsvolksbegehren oder etwas möglichst ähnlich Substanzielles dringende Notwendigkeit. Zwecks Sicherung der Grundversorgungen. Versorgungssicherheit! Zwar gibt’s ja jetzt das Volksbegehren gegen Kinderarmut, Verarmung, Arbeitslosennot. Und das entschlossene gemeinsame Vorgehen der Pflegeverbände, endlich. Und CARE und MORE CARE. Aber ich eben, ich bilde mir partout das präventive Sozialstaatsvolksbegehren ein von 2002. Mit Hand und Fuß das prophylaktische Sozialstaatsvolksbegehren von der Dohnal und dem Werner Vogt und vom Stephan Schulmeister und von Emmerich Tálos und so weiter und so fort.
Im Übrigen hat Werner Vogt einmal wie folgt formuliert: Das Ziel ist tatsächlich der Weg. Auf die Weise erspart man sich und den anderen die zeit- und kraftraubenden Umwege, die zu nichts führen als in die Irre, und die Ausflüchte, die ohnehin danebengehen. Wenn das Ziel der Weg ist, braucht man und darf man nichts aufschieben. Das, was zu tun ist, wird dadurch erreicht, dass man es tut.
Fritz Orter, in 14 Kriegen Berichterstatter. In diesen hat er die Mörder, Schänder und Quäler immer und immer wieder dasselbe sagen hören, nämlich: Wer zu uns gehört, braucht keine Angst zu haben! Den bringen wir nicht um. Wir bringen nur die um, die uns umbringen. Denen ist egal, dass wir verrecken, also ist es uns egal, dass die verrecken. Mir kommt vor, damit ist das entsetzliche Problem benannt, zugleich aber die Lösung, Befreiung daraus. Durch Orters Beschreibung der Kriegspsychologie ist die Herstellbarkeit von Frieden sichtbar gemacht.
Damit Menschen einträchtig leben und einander hilfreich sein können, ist es nötig, dass sie einander sicherstellen, künftig nichts zu tun, was den anderen schädigen könnte. Eine Art Staatsdefinition ist das eigentlich. Von Spinoza kommt die. 17. Jahrhundert, Spinozas Reaktion auf den Dreißigjährigen Krieg war die wohl auch. Infolge des Dreißigjährigen totalen Krieges ist man übrigens, heißt’s, für 200, 300 Jahre in der Tat vorsichtiger geworden in Europa beim Kriegführen. Bis zum Ersten Weltkrieg. Wie auch immer: einander sicherstellen, künftig nichts zu tun, was den anderen schädigen könnte. Darum geht’s. Eine Art Sozialstaatsdefinition ist das auch. 17. Jahrhundert. Dreißigjähriger Krieg. Spinoza.
Friedensberichterstatter jedenfalls einzig würde er nur mehr werden wollen, nicht Kriegsberichterstatter, hat Fritz Orter oft gesagt. Als Krisenberichterstatter nämlich die bestehenden oder beginnenden Konflikte öffentlich analysieren und die Menschen in den sicheren Staaten da hier rechtzeitig dafür interessieren, was sowohl dort in den gefährdeten wie hier in den stabilen im Guten getan werden kann, damit es nicht zu den Eskalationen und Bestialitäten kommt ‒ das, nur das würde er wollen. Genau das! Für Orter (wenn ich zu viel Nonsens verbreite, wird er mir das da hier heute öffentlich ja eh sagen) war das Geistige stets eine Überlebensfrage, die Musik, die Gedichte, Mozart. Die Gedichte eben auch dafür gut, dass die Fassung und der Halt nicht verloren gehen und dass alles wesentlich wahrgenommen und gesagt werden kann und kurz und genau und schnell, geistesgegenwärtig eben. Beruflich und vor Ort und verantwortungsvoll inmitten der Realitäten. Zitat Orter: Die Zerstörung der Vernunft nicht zulassen, darum geht es. Ob’s geht, ist eine andere Frage. Gleichzeitig und ungleichzeitig geschehe alles, und alles wiederhole sich, an jeweils verschiedenen Orten oder sogar an denselben. Dennoch: Was im Journalismus, Zitat Orter, fehlt, ist, dass Entwicklungen, Fehlentwicklungen, vorzeitig und rechtzeitig benannt und berichtet werden, was ja durchaus möglich wäre. Es ist ja zu durchschauen und man kann es kapieren. Der Kriegsjournalismus müsse präventiv und prophylaktisch sein und werden, Friedensarbeit eben. Seine Weise der Berichterstattung habe er immer als Menschenberichterstattung verstanden. So Hilfe zu ermöglichen mitversucht. Eine Dokumentation vom Sinn wollte Orter auch einmal herstellen, handelnd davon, wie die Schicksale waren und sind. Was aus den Menschen wurde. Zum Beispiel der Mann, der im Haus zu verbrennen drohte. Weil das Kamerateam, Orters Kamerateam, filmte, wurde dieser Mann von den örtlichen Einsatzkräften gerettet, sonst hätte man ihn verbrennen lassen. Oder zum Beispiel ein Kind mit weggefetzten Beinen, der Vater hat es in den Armen gehalten; infolge der Anwesenheit des Kamerateams und infolge des Nachrichtenberichts wurde der Bub ausgeflogen und behandelt und lebt. Und auch hat gerade die Ortersche Berichterstattung aus Rumänien während der Revolution, vor allem aus Temeswar, dazu beigetragen, dass damals die österreichische Rumänienhilfe möglich und hilfreich war und blieb. Was in Afghanistan geschehen wird, wenn die Amerikaner abziehen, hat er Jahre vor jetzt benannt; wie die einen wegkönnen, die anderen nie und nimmer. Und das permanente und irgendwie korrupte Nachgeben des Westens Putin gegenüber hat Orter tatsächlich stets als unerträglich schweren Fehler erachtet. Die Ukraine z. B. 2015, den eingefrorenen Krieg, hat er mit Verlaub auch ziemlich erklärt. Zitat Orter, Auswege-Gespräch anno 2015: In der Ukraine geht es […] um die Flottenverbände auf der Krim. Das ist der einzige eisfreie Zugang. [Obwohl die Russen die Krim ohnehin schon okkupiert haben, ist deshalb kein Friede], weil sie einen Korridor brauchen, und der geht durch die Ukraine. Die Truppen auf der Krim müssen ja versorgt werden. Das geht nicht andauernd per Flugzeug. Und der NATO-Westen will natürlich amerikanische Politik umsetzen. Die Amerikaner wollen die einzige Weltmacht bleiben. Sie ziehen 40 % ihres Militärpotentials wegen China im Pazifik zusammen, den Rest vor dem russischen Korridor. Und im Kosovokrieg ist es ebenfalls in höchstem Maße um die militärischen Interessen gegangen. Zitat Orter: Kosovo ist die größte NATO-Basis in Südosteuropa. Die Einflussmacht der Russen soll verringert und verhindert werden. Das Aufeinanderprallen der Russen und der USA war da durchaus gefährlich. Damals sind dort völlig unerwartet russische Truppen gelandet … Der damalige Kommandant der NATO hat gesagt, wegen der paar russischen Soldaten riskiere ich keinen Krieg. Vor einem Dritten Weltkrieg hat Orter, glaube ich, immer irgendwie Angst. (Hugo Portisch hatte die bekanntlich auch.) Einmal auch hat die Tochter des Arztes, der nach dem Attentat von Sarajevo auf den österreichischen Thronfolger diesen zu beschauen hatte, Orter den Dritten Weltkrieg prophezeit. Der Krieg verändere die Menschen völlig, und das mache ihm, Orter, Angst. Seine Arten von Befürchtungen und Sorgen hat er, kommt mir vor, stets offen und mutig benannt, hat auch gesagt, ohne Angst sei man in Gefahr, wirklich umzukommen. Und wie das ist, wenn mitleidlos schreckliches menschliches Leid im Fernsehen nicht gezeigt werden darf, um ja das Publikum nicht zu schockieren oder der Politik wegen; und dass reklamepsychologisch andererseits die Not und Furcht das Publikum verwirrt und hilflos und dadurch gierig macht nach den Werbeblöcken und dem Geld und dem Kaufen, weil ja Konsumieren die Aufregung stillt, hat er in etwa auch gesagt.
Warum gibt es in der Schule kein Unterrichtsfach, das Helfen heißt, und warum im Fernsehen kein Friedensprogramm? In der Schule ein Lernfach, das Helfen heißt, und im Fernsehen ein paar Stunden pro Woche ein Friedensprogramm! Auf jedem Sender die Analysen, was man wo tun kann, und in jeder Schule Helfen als Pflichtfach für da hier. Und endlich ein rechtzeitiges, präventives Sozialstaatsvolksbegehren zur Sicherung der Grundversorgungen, eine präventive Sozialstaatsbewegung zur Versorgungssicherheit, darum ist es gegangen, seit Jahren, Jahrzehnten. Ums rechtzeitige österreichische Sozialstaatsvolksbegehren wie gesagt und ums Helfen als rechtzeitiges Schulpflichtfach und um ein rechtzeitiges permanentes Friedensformat im ORF. So viel wäre erspart geblieben! So viel! Alles wäre einfach gewesen. Ganz einfach war’s. Ist’s immer noch, kommt mir vor. Zum ersten Mal wurden die Ideen fürs Helfen als Schulpflichtfach und für ein fixes wöchentliches Friedensformat im öffentlichen Fernsehen und für ein Wiederholen des österreichischen Sozialstaatsvolksbegehrens als Sicherung der Grundversorgungen so spätestens 2015 unter die Leute gebracht. Und zwar in Graz, im Bezirk Gries, in der Pfarre St. Andrä, im St.-Andrä-Saal, beim Herrn Pfarrer Glettler. Die Veranstaltung hieß Vom Helfen und vom Wohlergehen oder Wie die Politik neu und besser erfunden werden kann. Um die Auswege ging es und der Saal war voll bis hinaus in den Garten und das Publikum die Nachtstunden lang angetan und guter Dinge. Genützt hat das Ganze à la longue nix. Damals waren auf dem Podium Werner Vogt, Markus Marterbauer, Fritz Orter und moderierend die Arbeits- und Arbeitslosigkeitssoziologin Johanna Muckenhuber von der Denkwerkstatt Graz, und ich war auch mit von der Partie. Z. B. Vogt fehlt heute, aber dafür ist Thurnher da. Der ist auch gut für die Nerven. Meine z. B. Der erinnert mich ja wirklich wahr mit seiner Zeitung oft an den Friedrich Schiller. In Schillers Briefen und in der Schaubühnenschrift und im Lied von der Glocke steht, kommt mir halt vor, es gehe zuvorderst stets darum, zustande zu bringen, eine Welt in der Welt zu sein. Des Weiteren sichtbar zu machen und zu erweisen, was alles auf dieser Welt sehr wohl veränderbar ist; z. B. dadurch, dass diejenigen, deren man ansonsten nicht habhaft wird, öffentlich doch zur Rechenschaft gezogen werden. Eine Welt in der Welt sein. Bei Pierre Bourdieu, wer immer das war außer der zu Lebzeiten angeblich meistzitierte Menschen- und Wirklichkeitswissenschaftler der Welt, steht das auch, so irgendwie halt. Wie beim Schiller eben. Oder im Falter beim Thurnher. Eine Welt in der Welt sein.

2. Runde
Einleitend Leitner. Anschließend Markus Marterbauer (Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien): Ängste nehmen, Sicherheit geben, Hoffnung wecken: Emanzipatorische Wirtschaftspolitik; Sabine Platzer-Werlberger (Landesgeschäftsführer-Stellvertreterin des AMS Tirol): Praxisbericht Arbeitsmarkt ‒ schon wieder alles wie vor der Krise?

Egon Christian Leitner: Was jetzt, was tun?
Man, also beispielsweise ich, soll, wenn ich keinen Ausweg zu nennen weiß, ganz einfach bloß nur still sein, damit durch mich die zurzeit ohnehin herrschende allgemeine Verwirrung nicht noch größer wird, hat Bert Brecht kurz und in etwa gedichtet. Obgleich, sehr verehrte Damen und Herren, ich mich an das zu halten versuche, was Brecht da angeraten hat, werden Sie die von mir im Laufe des heutigen Nachmittags und Abends des Weiteren offerierten Auswege vielleicht für Schnickschnack, Wischiwaschi, Blablabla und für Schade-um-die-Zeit in solch schrecklicher Zeit erachten. Ich gebe Ihnen gegenüber, sehr geschätzte Damen und Herren, sicherheitshalber hiermit sofort zu, dass ich äußerst seltsame Faibles habe. Für Grisu z. B. und für Waluliso auch. Und für die Marx-Brothers. Ich halte die alle für Auswege. Die Marx-Brothers z. B. sind immer geistesgegenwärtig, lassen sich nichts gefallen, halten zusammen, drehen den Spieß stets schnell um, sind jedes Mal trotz allem sofort wieder obenauf und unbeschadet. In der Realität freilich hatten die Marx-Brothers stets Angst, wieder so arm zu werden, wie sie es gewesen waren. Zurückzustürzen ins Elend von früher. Einen Film von ihnen gibt es, da lehnt, wenn ich mich richtig erinnere, gleich am Anfang einer von denen an einem Haus und der andere sagt zu ihm, es schaue so aus, als ob der das Haus halte, und der Haushalter geht daraufhin weg und das Haus fällt wirklich um. Kann auch sein, der andere hat zum Haushalter gesagt, er brauche das Haus nicht zu halten, es falle nicht um. Jedenfalls fällt das Haus um. In einem anderen Marx-Brothers-Film wird einem Politiker ein Finanzbericht gezeigt und der versteht den nicht und daraufhin wird zu ihm gesagt, jedes vierjährige Kind versteht dieses Finanzgebaren, und daraufhin sagt der Politiker ‒ der Staatspräsident ist der ‒, man solle auf der Stelle ein vierjähriges Kind in die Staatskanzlei holen in die Kabinettssitzung, damit es ihm die Finanzen erklärt. Angeblich gibt’s diese Szene auch in der Variante, dass ein hochrangiger Militär einen kinderleichten Stabsplan nicht versteht und daher ein dreijähriges Kind um Hilfe ruft, damit es ihm das Problem löst. Und Grisu, der kleine, liebe, hilfsbereite, menschenfreundliche Drache in den Zeichentrickfilmen will bekanntlich unbedingt Feuerwehrmann werden und ist fleißig bei jeder Arbeit und in jedem Beruf, den er auf Empfehlung und durch Vermittlung eines wohlwollenden alten adeligen Ehepaares freudig beginnt. Er speit jedoch plötzlich Feuer, wenn er sich zu sehr aufregt, z. B. ärgert. Mir kommt vor, wenn er sich sehr freut, auch. Er ist eben immer schnell guter Dinge und voller Zuversicht und Vertrauen. Und dann brennt es aber immer und er wird also niemals Feuerwehrmann werden können. Aber er gibt nicht auf. Fängt immer wieder mit allem neu an. Völlig unbefangen ist der und er scheitert und scheitert und fängt aber neu an. Kann und will nicht anders. Muss. Die Grisu-Zeichentrickserie soll angeblich nicht allein für Kinder, sondern auch irgendwie sozialpolitisch gedacht gewesen sein. Grisu übrigens heißt übersetzt Schlagwetter. Das sind in den Bergwerken die gefährlichen Methankonzentrationen, von denen man Kopfweh bekommt oder die auf einmal explodieren. Waluliso halte ich wie gesagt auch für einen Ausweg. Der alte Wasser-Luft-Licht-Sonne-Mann mit dem Lorbeerkranz, der weißen Leintuchtoga, dem Stab und dem Apfel hatte in Wien eine Wohnung von 9 m2 und eigentlich kein Geld, aber das verschenkte er einmal auf der Straße an Passanten, gegen die Politikerkorruption tat er das, und Friiieede hat der auch immer gesagt zu den Leuten und nach Genf und Moskau ist er gefahren zwecks Frieden und ausländischen Staatsmännern auf Besuch in Wien hat er die Hand geschüttelt und Frieden gewünscht und die Lobau hat er geschützt, und den Rest und den Anfang seines Lebens habe ich vergessen. Der kleine Drache Grisu, die Marx-Brothers und Waluliso – lauter Auswege. Ich meine das ernst. Den biophilen Erich Fromm sowieso. Ohne ihn wäre, wie Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren vielleicht ohnehin bekannt, Milgram (so sagte Milgram es selber und war dem Fromm ein Freund) niemals auf die Idee zu seinen Milgram-Experimenten gekommen. Und Objektivität war für Erich Fromm die Bereitschaft, Fähigkeit und Fertigkeit, nicht zu entstellen, Menschen nicht und Sachverhalte nicht. Und lieben war für ihn irgendwie wie sich konzentrieren können.
Die Schulen jetzt da hier. Und wie jetzt da hier gelernt wird und dass es ja in einem fort drunter und drüber geht und die Kinder und die Lehrer und Lehrerinnen nicht aus und nicht ein wissen infolge der bedrohlichen Seuche und der Regierungsmaßnahmen dagegen und aufgrund der Zumutungen und der Überforderungen und der Unterforderungen …!!! ‒ Der Bub, der in der Schule als dumm beurteilt wurde, aber in Wahrheit immer Hunger litt (infolge der Weltwirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit), als der dann erwachsen war, war der selber von Beruf Lehrer und hat Kindern und Erwachsenen das Lesen beigebracht. Binnen 8 Wochen konnten die in der Folge die Zeitung lesen. Von Null auf Hundert kamen die mit seiner Hilfe. So ein Lehrer war der! Wenn ein Mensch schweres Unrecht erleide, sei dies für diesen Menschen wie der totale Zusammenbruch der Welt. Der Mensch verzweifle dann in der Trostlosigkeit oder werde fanatisch und zerstörerisch, sagte besagter Lehrer auch. Oder wenn ein Mensch in so etwas hineingeboren werde und so aufwachse. Und dass es eine Dritte Welt in der Ersten gebe und eine Erste in der Dritten. Denn die kleinen, chancenlosen Leute überall auf der Welt gleichen einander und die Eliten gleichen einander ebenfalls. Die Eliten halten sich selber für großmütig, wohltätig, hilfsbereit, fleißig, hochintelligent und hochmoralisch; die kleinen Leute hingegen gelten ihnen als undankbar, unbegabt, faul, unehrlich und als von Natur aus unterlegen und als nun einmal genetisch minderwertig im Vergleich. Genannter Lehrer hieß Paulo Freire und der hat befunden, dass das Lernen wirklich am wichtigsten ist im Leben. Für jeden Menschen nämlich sei Lernen Leben, Leben-Können. Vornehmlich ums jetzt dann endlich einmal Leben-Können eben gehe es beim Lernen, ums Freikommen, Rauskommen, ums Einander-und-sich-selber-helfen-Können, ums Liebhaben-Können, Liebenlernen! Jede glückende politische Bewegung sei eine Lernbewegung solcher Art. Das Christentum zum Beispiel sei eine sehnsuchtsvolle Lernbewegung genauso wie die Demokratie. Jede Sozialbewegung eben sei solch ein Lernversuch, den Hass, die Enge, die Angst, die Zwänge und die Feindschaften und das Herrenmenschentum auf der Stelle loszuwerden, wo und wie nur irgend möglich.
Freire war selbstverständlich ein Revolutionär, zugleich war er dem Karl Popper irgendwie zugetan, sozusagen eine Art Popper-Versteher, zugleich aber lernte er vom linken Erich Fromm und vom linken Antonio Gramsci und zugleich von Martin Buber und von Karl Jaspers und so fort. Freires systematische Methode war wie gesagt die Lebenswichtigkeit, das wirkliche Gespräch, der wirkliche Dialog mit dem Du da hier jetzt, die existenzielle Kommunikation, die Liebe zum Leben und die Sehnsucht danach und die Hoffnung darauf. Das jeweils Lebenswichtige sei das jeweils Wertvolle, das jeweils zu lernen sei. Das Lebenswichtige und Wertvolle zu lernen gehe leicht und schnell. 6 bis 8 Wochen. So hat das Freire praktiziert, ist dafür politisch verfolgt worden und vertrieben. Geehrt freilich auch. Da hier wohl auch. Dann war’s aber, kommt mir vor, wieder futsch da hier und war man, offene Gesellschaft hin, offene Gesellschaft her, wieder ahnungslos. Seit Jahrzehnten nämlich hätte man da hier anders lernen und unterrichten können auch mit Freires Hilfe. Aber man hat, wette ich mit Verlaub und ohne wirkliche Übertreibung, in den öffentlichen Schulen in den letzten 20, 30, 40 Jahren kaum seinen Namen genannt oder gar buchstabiert. Im Lehrplan stand Freire jedenfalls gewiss nicht. Lesen, Rechnen, Schreiben in 6 bis 8 Wochen und so fort. Mathematik, Sprachen, Naturwissenschaften ‒ lauter Kreativfächer mit dem intensiven Hang zum Wesentlichen, nämlich zur Lebhaftigkeit, Wirklichkeit und Hilfsbereitschaft, so sähe es aus da hier jetzt, nähme man Freire in den Lehrplan auf. Die Nerven wären auch besser. Die Nerven wie gesagt scheinen mir das Wichtigste. Apropos Nerven: Zwischendurch fand Freire, gestorben in etwa um die Jahrtausendwende, Unterkommen bei Ivan Illich in Mexiko. Just wie Erich Fromm. Freunde waren die, der Illich, der Fromm, der Freire. Haben die politische Welt ziemlich ähnlich empfunden. Als entfremdend und zukunftszerstörend. Als apokalypseblind. Und das gesamte Geschehen als verheerend. Illich sah das viel gepriesene Schul-, Gesundheits-, Verkehrs- und Kommunikationswesen so. Überall herrsche der Schein von Überfluss, in Wirklichkeit jedoch permanenter Mangel und eine hilf- und schutzlos machende Abhängigkeit. Wegwerfleben statt Leben. Sowohl der Sozialstaat mit all seinen Errungenschaften und Einrichtungen als auch die Zivilgesellschaft samt Grün- und Sozialbewegungen werden, so Illich, von Markt und Geld und Automatentechnik verschluckt und dadurch zu ihrem eigenen Gegenteil. Gehen auf diese Weise kaputt und machen gar kaputt. Illich war stattdessen für Freundschaften. Fürs ganz selbstverständliche, freundschaftliche, einfallsreiche, hilfsbereite Zusammenleben von Mensch zu Mensch: ein jeglicher vom anderen lernend, was wie bewerkstelligt werden kann, wo und wann, um der jeweiligen Not zu entrinnen. Ums Rechtzeitig-da-Sein ging es Illich und ums Rette sich, wer kann. Viele übrigens von denjenigen Leuten, vor allem Frauen, die beizeiten, nämlich wiederum seit Jahrzehnten, vor der Drittweltisierung, vor der Verdrittweltlichung, der Ersten Welt vehementest gewarnt haben, haben nicht zuletzt von oder bei Erich Fromm, Ivan Illich und Paulo Freire gelernt, die elendigen Dritte-Welt-Zustände inmitten der Ersten Welt öffentlich klar zu benennen. In der Jugendfürsorge und in der Pflege z. B. Die Sozialstaatsdefekte somit. Die geschlossene Gesellschaft eben mitten in der offenen.
Durch das Reden, sehr verehrte Damen und Herren, ersparen wir uns das Sterben. Wir lassen da nämlich unsere falschen Sätze, unsere falschen Ideen, an unser statt untergehen. Sind wie Affen, die von Baum zu Baum springen; ist der Satz, den der Affe tut, falsch, dann ist der Affe auf der Stelle tot oder bald. Für Karl Popper ist das die Funktion der Sprache. Reden erspart Leid. Könnte. Die falschen Sätze herauszufinden, sozusagen das Leben durchzuprobieren, indem wir von ihm berichten, erspart uns und den anderen Leid und Tod. Der Vergleich, die Analogie, kommt, genau gesagt, von Theoretischen Biologen, Evolutionsbiologen und Gehirnforschern rund um Popper. Um Fehlerkultur geht es jedenfalls bei Popper. Im Reden und Denken probieren wir versuchsweise Wirklichkeiten aus. Durchs bewusste Durchprobieren, bewusste kreative Fehlermachen, bewusste Fehlersuchen überleben wir selber und helfen anderen, dass sie überleben können. So verstehe ich den heutigen Nachmittag und Abend. Die Veranstaltung da hier. Der Begriff der Offenen Gesellschaft genauso wie der der Verschwörungstheorie stammt ja von Popper. Ebenso, jedoch unbekannt und nahezu ungebraucht, der wichtige Begriff Grausamkeitsverbot. Worüber öffentlich zumeist ebenfalls nicht geredet wird, ist Poppers besagte Fehlerkultur. Diese Fehlerkultur ist aber wesentlich für die offene Gesellschaft in Poppers Sicht.
Seit den 1970-er Jahren experimentiert der KI-freundliche Katastrophen- und Kognitionspsychologe Dietrich Dörner intensiv und konsequent, um die jeweiligen politischen, technischen, ökonomischen Entscheidungseliten durch Computersimulationen zu schulen und vorstellungsfähiger und wirklichkeitstauglicher zu machen. Auf dass politische, technische, ökonomische Unfälle, Debakel, Desaster verhindert werden: Das Dörnerexperiment 2 betrifft ein fiktives Entwicklungsland namens Tanaland, das Dörnerexperiment 1 die fiktive kleine deutsche Stadt Lohhausen, das Dörnerexperiment 3 ist das reale Tschernobyl. Den Versuchspersonen wird jedwedes Know-how und Machtinstrumentarium, sogar das von Ausnahmezustand und Quasidiktatur, zur Verfügung gestellt. Aber nahezu alle Versuchspersonen sind den Situationen, Strukturen, Zwängen, Zusammenhängen, Geschwindigkeiten, Abläufen nicht gewachsen und zerstören unerbittlich das, was sie aufbauen oder retten sollen. In den 50 Jahren der Dörnerexperimente hat sich daran nicht viel geändert. Weitergemacht wird, egal, wie es den überantworteten Menschen dabei ergeht. Die z. B. für die Entwicklungslandbewohner lebensbedrohlichen, quälenden Interventionsfolgen wurden vom Computertäter als notwendige Durchgangsphase deklariert. Die Versuchspersonen agierten ziemlich brutal, egal, ob sie männlichen oder weiblichen Geschlechts waren. Je gefährlicher die Situation wurde, je mehr warnende Informationen, negative Rückmeldungen die es gut meinenden, immer nervöser werdenden Computertäter bekamen, umso brutaler agierten sie und fanden gute Gründe für ihr eklatant falsches, großen Schaden stiftendes Vorgehen. Falls Sie sich wundern, sehr geehrte Damen und Herren, warum in den 2 Jahren Corona-Politik nie von den Dörner-Experimenten öffentlich die Rede war, ich kapier’s auch nicht. Denn die Dörnerexperimente gehören ja doch zum Grundwerkzeug der Komplexitätsforschung samt Modellierern. Und jetzt angesichts des Ukraine-Krieges und dessen Folgen ist auch nie von den Dörner-Experimenten die Rede. Die Evolutionsbiologen rund um Popper und Konrad Lorenz haben sehr wohl öffentlich auf die Dörner-Experimente hingewiesen. Seinerzeit. Namentlich der hochangesehene österreichische Meeresbiologe und Wissenschaftsorganisator Rupert Riedl. Der holte seinen Lehrer Konrad Lorenz raus aus dem rechten Eck und war überhaupt ein ansteckend gut gelaunter Sunnyboy. Z. B. das Peter-Prinzip hat er deshalb fast genauso gern öffentlich erklärt wie die Dörner-Experimente und auch weil er gewaltige Zweifel an den Hierarchien, Politikern, Expertokratien, Routinen und Bürokratien hatte. Nicht allein den österreichischen. Das Peter-Prinzip besagt ja in etwa, dass fast immer ein bisserl zu hoch aufgestiegen wird in der Karriere und dann ist man dort eben inkompetent und fehl am Platz und stiftet als Führungskraft Schaden oder beschäftigt sich günstigstenfalls nur mehr mit lateralen Arabesken. Das Interessante am Peter-Prinzip ist das bekannte Gegenmittel, nämlich das Beispiel einer beliebten, in sich ruhenden Lehrerin, die partout nicht aufsteigen wollte, obwohl sie zumindest Direktorin hätte werden können. Stattdessen hatte sie einfach nur zu unterrichten im Sinn, Kinder unterrichten. Sie soll eine Lehrerin, Volksschullehrerin, gewesen sein, der die Kinder ein Leben lang dankbar waren, weil sie nirgendwo später so viel Hilfe erfahren und so leicht und so schnell so grundlegende, wichtige Fähigkeiten erworben und entwickelt haben wie bei dieser einen Lehrerin. Solche Ideen also hat Rupert Riedl, der Popper-affine Lorenz-Mitarbeiter, unter die Leute gebracht. Sozusagen Kompetenz statt Hierarchie. Und die österreichische Sozialpartnerschaft hat Rupert Riedl als weltweites Vorbild und als Großtat der Evolution erachtet und deklariert. Der Wiederaufbau des Menschlichen heißt eines von Riedls Büchern. Lorenz selber hat auch oft Lustiges gesagt, z. B. dass endlich, schnellstens und für alle Zukunft gelernt werden müsse, dass man goldene Nockerln nicht fressen kann. Gegen die Ökonomen ist das meines Wissens gegangen. Übrigens hat Lorenz als Mensch bekanntlich umgelernt infolge von Hainburg und sich bei den demonstrierenden Jugendlichen entschuldigt und bedankt. Zuvor hatte er demonstrierende Jugendliche nicht ausstehen können. Im Gegensatz zu Rupert Riedl. Soviel meinerseits ernstgemeint zu Popper und den Popper-Anhängern von anno dazumal als Ausweg für da hier jetzt. Den Pierre Bourdieu, den heute bereits erwähnten, meine ich auch ernst, zumal, was die Wenigsten wissen, sein politisches EU-weites Vorhaben einer Sozialcharta samt gebündeltem Netzwerk der Sozialbewegungen mit dem österreichischen Sozialstaatsvolksbegehren 2002 konvergierte. Letzteres da hier war sogar weiter gediehen und realitätsnäher als Bourdieus Projekt. Kooperationen zwischen den französischen und den österreichischen Akteuren waren außerdem begonnen worden und ziemlich fortgeschritten. Bourdieus plötzliche Erkrankung und sein Tod dann 2002 haben das Ganze aber zunichte gemacht. In respektive durch Bourdieus Das Elend der Welt erzählen Menschen einander ihre Leben, und zwar vom Bauern bis zum Gewerkschafter, von der Polizistin bis zur Postangestellten, vom Weinhändler bis zum jungen baldigen Neonazi, vom Migrantenbuben und dessen Hausmeister bis zur kleinen Geschäftsfrau oder kleinen Politikerin oder bis zum Richter oder Journalisten oder Sozialarbeiter oder bis zum Autoschlosser in der riesigen Fabrik oder bis zum Versicherungsvertreter oder bis zur Lehrerin oder zum Schuldirektor oder zur Frauenhausleiterin und so weiter und so fort. Und jeder Mensch soll, bitte (so war das gedacht), ihr oder sein eigenes Leben dazu erzählen oder dagegen. Soviel zu Bourdieus Demokratiemethode, Solidaritätsmethode, Friedensmethode. In Graz wurde eine Kreisky-Preis-prämierte Studie nach genanntem Das Elend der Welt-Vorbild frauengeleitet durchgeführt. Zirka 20 Jahre ist es her. Jetzt gibt’s ja infolge von Corona Ähnliches wieder in Hamburg. Frauengeleitet. In Graz die Leiterin hieß Katschnig-Fasch. Und mit ihrer Freundin, der inzwischen leider ebenfalls verstorbenen feministischen Philosophin Elisabeth List, zusammen hatte ich – sie und ich zusammen hatten wir die Idee zu einem Hirngrenzenwörterbuch. Als Verständigungshilfe von Mensch zu Mensch, Menschengruppe zu Menschengruppe. Ein Habitus-Wörterbuch. Bei Bourdieu eben bedeutet Habitus ja so viel wie die Hirngrenzen eines jeweiligen Menschen, aus denen er nicht herauskann; seine Denk-, Wahrnehmungs-, Empfindungs-, Gefühls-, Werte- und Handlungsschemata, in denen er eingesperrt ist. Worden ist. Halb spaßig, halb ernstlich hatten wir eine Art handliches kleines Habitus-Wörterbuch à la Fremdsprachen-Langenscheidt im Sinn; eine jederzeit greifbare verlässliche Übersetzungshilfe, ein Bestimmungsbuch, Menschenbestimmungsbuch. Da sollte (anno 2000 hatten wir die Idee) gleichsam drinnen stehen, was ein Mensch denkt, empfindet und so weiter, und aber eben auch das, was er nun einmal nicht kann, und aber eben auch das, was er sich wünschen würde. Das einem Menschen Zumutbare also und das ihn Überfordernde sollen drinnen stehen. Mit diesem Menschenbestimmungsbuch könnte man ansonsten Schicksalhaftes wirkungslos und unschädlich machen. Die sozialen Bestimmungen eben mit all den Folgen, Situationen, Abläufen, Zwängen, Gewalttätigkeiten, erlernter Hilflosigkeit. Besagtes Habituswörterbuch solle aber ja elementar und klein gearbeitet sein und z. B. sowohl für Zugewanderte als auch für Hiergeborene. Und eben ja ganz konkret gegen die konkreten Missverständnisse, Probleme und Konflikte zwischen den verschiedenen Schichten, Milieus, Klassen gut soll es sein, das Wörterbuch. Interkulturell wie gesagt sowieso. Aber eben innerhalb der eigenen Kultur solle es auch interkulturell sein, weil ja z. B. jede Schicht, jedes Milieu irgendwie eine eigene Kultur hat und ist. Eine Art kleine Fibel für den Elementarunterricht und als Art österreichisches Wörterbuch, Schulwörterbuch, für den alltäglichen zwischenmenschlichen Gebrauch. Als Handreichung eben gegen zwischenmenschlichen Schmerz und Stress. Ein Wörterbuch der gegenseitigen und erlernten und aufgezwungenen Hirngrenzen wie gesagt. Die Grundforderung des legendären Soziologen Norbert Elias ist das irgendwie und bekanntlich, nämlich: Zitat Elias: Wir haben nur eine Aufgabe: mit Menschen freundlich zu leben. Ein Friedensbuch wäre das jedenfalls gewesen, das Hirngrenzenbuch Anfang dieses Jahrtausends. Nix geworden draus, nicht gefördert. Alles vergessen und futsch. Ah ja, apropos Kreisky-Preis: Kreisky stand bekanntlich im Telefonbuch, und unabgehoben, wie er als Politiker wohl war, hob er den Telefonhörer auch wirklich ab. Die Leute riefen ihn in ihrer Not an, weil die Dachrinne kaputt war oder der Wohnungsschlüssel verschwunden oder das Auto abgeschleppt oder weil es ins Haus regnete oder weil der Hund krank war. Kreisky erwies sich tatsächlich für all das zuständig und hilfreich. Krank und betagt hat er dann einmal gesagt, er fürchte sich, wie das sein wird, wenn junge Politikergenerationen an die Macht kommen, die nicht wissen, was auf dem Spiel steht, weil sie die Not der Kriegs-, Zwischen- und Nachkriegszeiten und den wohltuenden Aufbau des Staates nicht selber am eigenen Leib erfahren haben. Und um Otto Neurath hat er fast geweint. Der sei immer so einfallsreich und so lustig gewesen. Warum gibt es solche Intellektuellen heute nicht mehr?, hat Kreisky gefragt. Neurath war bekanntlich derjenige Wiener-Kreis-Wissenschaftler, sozialdemokratische Politiker, Statistiker und Enzyklopädist, der immer mit einer Elefantenzeichnung unterschrieben hat. Manche sagen, wäre Neurath nicht 1945 im Exil gestorben, auflachend übrigens und an einem Herzinfarkt, hätte durch Neurath der österreichische Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftsbetrieb einen völlig anderen Verlauf genommen. Einen Neurath für heutzutage hat sich Kreisky jedenfalls gewünscht und, wenn ich richtig verstanden habe, die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Dem Otto Neurath, unter anderem Spezialist für Kriegswirtschaft war der, würde gewiss viel zu solch einem bedingungslosen Grundeinkommen einfallen. Und er würde es, wette ich, realisieren. Worauf ich freilich hinauswill, Bruno Kreisky im Ohr und Hans Kelsen vor Augen, ist, dass die Erste und Zweite Republik auf dem empirischen Fundament von Krieg, Verheerung, Dauerkrisen, Qual, Zerstörung und Not erwachsen sind. All die lebhaften ebenso profunden wie verlässlichen grundlegenden Denkerinnen und Denker der Ersten und beginnenden Zweiten Republik sind heutzutage jedoch größtenteils und de facto in Vergessenheit geraten. Wie sie, selber leidgeprüft und existenziell, die gesamte, bald schreckliche, bald befreiende antike Ideengeschichte der westlichen Menschheit forscherisch aufarbeitend, dazumal ein Ausweg waren, sind sie ein Ausweg auch heute. Wette ich hiermit. Von den jetzigen verlässlichsten und grundlegenden Sozialstaatsökonomen einer ist Markus Marterbauer. Auf den wette ich hiermit auch.

3. Runde
Einleitend Leitner. Anschließend Fritz Orter (Journalist, Autor, langjähriger Friedens- und Kriegsberichterstatter des ORF): Kain, wo…; Elisabeth Rathgeb (Caritas-Direktorin der Diözese Innsbruck): Sozialer Friede ‒ wie bitte?; Vroni und Jussuf Windischer (auf ihre Initiative entstanden zahlreiche Sozialprojekte): Was uns verbindet ‒ über Grenzen hinweg.

Egon Christian Leitner: Was jetzt, was tun?
Als in der Stadt auf dem [großen P]latz die Demonstrationen stattfanden, damit das […] Kraftwerk nicht gebaut wird, fand sich, wenn einer gegen die Demonstranten redete, sofort jemand, der sie in Schutz nahm und die Beleidigungen und die Handgreiflichkeiten abwehrte. Die Leute nahmen einander damals wirklich in Schutz. Das beeindruckte mich. Ein Esel stand am […P]latzbrunnen und Stroh lag herum. Ein älterer Mann mit schneeweißem Haar packt ein junges Mädchen von hinten, drückt die junge Frau in die Richtung des Esels, als sie gegen das Kraftwerk reden will. Ein Esel bist du! Zum Esel gehörst du!, schreit er und stößt sie. Sie sagt: Sie sehen doch die Bilder in der Zeitung, was die Polizisten mit uns machen. In dem Moment packt sie der Mann nochmals. Ein Mann sagt zu dem Mann mit dem schneeweißen Haar, der solle sich schämen, fragt, was der tun würde, wenn seine Tochter von jemandem so behandelt und so beleidigt würde. So angegriffen, sagt er. Das solle der sich einmal überlegen. Eine Frau antwortet an dessen Stelle, es sei schon möglich, dass die Umweltschützer recht haben, aber der Mann mit den schneeweißen Haaren könne viel besser reden. Die jungen Leute da hier können nichts!! Gar nichts!!, sagt sie. Aus einer Pensionistengruppe, alte Gewerkschafter, ruft ein kleiner dicker Mann einer Frau etwas zu, als sie sagt, dass die jungen Leute hier sehr wohl sehr viel zustande bringen. Aufgetakelte Schlampe, schreit der dicke kleine Mann der Frau zu, grinst sie an. Die Frau zuckt zusammen. Halt deinen Schlampenmund, setzt der dicke kleine Mann nach, grinst dreckig. Die Frau kann sich nicht mehr aufrichten. Ein dicker Mann kommt ihr zu Hilfe, sagt etwas ihr zum Schutz und dann etwas gegen das Kraftwerk. Von den Gewerkschaftern schreit ihn einer an: Schäm dich, wie fett du bist. Ich würd’ mich schämen, hier was zu reden, wenn ich so fett wär‘ wie du. Wenn’s euch Ausgfressnen wirklich ernst wär’, würdet’s nicht da sein demonstrieren, sondern wäret’s draußen in der Au bei denen und würdet’s mit denen z’sammen die Au vollscheißen. Der Gewerkschafter neben ihm schreit: Die Au wollen’s schützen. Vollscheißen tun sie’s in Wahrheit. Ein anderer Gewerkschafter schreit: Dort kommt nie wer hin. Die wollen, dass dort nicht gebaut wird, obwohl dort nie ein Mensch hinkommt. Jetzt sind die dort und scheißen alles voll. Ein kleiner zierlicher Mann stellt sich dagegen, sagt: Ich bin Bauingenieur und gegen das Kraftwerk. Der Gewerkschafter, der die Idee mit dem Vollscheißen gehabt hat, schreit dagegen, das halbe Gesicht nur Zähne: Ingenieur bist du? Eine Schande bist du! So was ist Ingenieur. Schaut’s euch den an! So was ist Ingenieur! Der Ingenieur knickt ein. Die Gewerkschafter lachen alle. Ein alter Mann sagt, die Demonstranten müssen auf sich aufpassen, hier sei es wie 1934, es sei ihnen damals genauso gegangen. Er bekomme Angst. Ein junger Mann versteht den alten Mann falsch, sagt aufgebracht: Wir schreiben 1984. Lassen Sie uns endlich mit der Nazizeit in Ruhe. Der alte Mann entschuldigt sich, das sei ein Missverständnis, der junge Mann entschuldigt sich nicht. Nazischweine, sagt der junge Mann […] Ein paar Wochen später dann war ich mit Trixi beim Vortrag des Außenministers. Damals war er bloß Parteivorsitzender und er verspottete, dass der rote Parteivorsitzende, der damals der Kanzler war, Die Partei ist mein Leben. Ohne Partei bin ich nichts gesagt hatte. Der schwarze Parteichef erklärte im Hörsaal, wie es in Zukunft weitergehen werde; ich verstand nicht viel, weil seine Sätze am Satzende nicht mehr zum Satzanfang passten. Das ging unentwegt so. Ihm gefiel das aber, kam mir vor. Vor mir in den zwei Reihen saßen Burschen, drei und zwei. Bei irgendetwas von dem, was der schwarze Parteivorsitzende redete, bildete der eine von den zwei Burschen mit dem Daumen und dem Zeigefinger der rechten Hand eine Pistole, setzte sie einem Burschen vor sich ins Genick, drückte ab und sagte: Bumm, und der vor ihm schüttelte sich und stürzte im Sitzen nach vorne. Sein Kopf lag auf der Schreibbank, seine Arme hingen darüber. Der Mund stand offen. Die vier feschen Burschen lachten und der fünfte mit dem offenen Mund auch. Es war ein lehrreicher Vortrag. Burschenschafter die Burschen. Ich weiß nicht, wen und was sie gemeint haben. Auch kann man nicht immer etwas für seine Zuhörer […]

Die zitierte Stelle gibt Ereignisse aus den Jahren 1984/85 wieder und stammt aus dem Band Lebend kriegt ihr mich nie. Selbiger ist zugehörig dem Sozialstaatsschuber Des Menschen Herz, publiziert 2012.
Sodann: Ich zähle jetzt bis 3 und dann ist Frieden. Sozialstaatsroman letzter Teil, erschienen Frühjahr 2021. Auszug nun da hier aus dem Abschnitt Journal für aktuelle Ewigkeitswerte.

Tag, Monat, Jahr
Ich zittere oft, beim Frühstück zum Beispiel. Ich merke es selber nicht. Ich zittere ziemlich, wird mir gesagt. Mir ist nicht recht, wenn es jemand sieht und sich gar Sorgen macht. Ansonsten ist mir mein Zittern völlig egal. Manchmal fällt mir kurz das Trinken und Essen schwer, weil ich die Gegenstände nicht fassen oder halten kann. Aber das vergeht schnell. Beim letzten Mal, als ich auf diesen ganzen Blödsinn angesprochen wurde, sagte ich, das sei nicht Zittern, sondern ich schüttle mich vor Lachen. Meine Frau macht sich aber eben Sorgen. Ich mache mir wie gesagt wegen meines Zitterns überhaupt keine Sorgen. Wirklich nicht. Im Übrigen habe ich, was das Prinzip anlangt, jemanden, der herztransplantiert ist, sagen hören, das Getue der Leute um das Sterben gehe ihm auf die Nerven: Das Sterben habe ja doch in Wirklichkeit noch jeder zusammengebracht. Ich persönlich bin mir da nicht so sicher; ich war als Kind immer schlecht im Turnen in der Schule, stelle mir das Sterben vor wie den Geräteunterricht damals. Da hat man die peinlichsten Dinge tun müssen vor den anderen und ich wäre dabei vor Scham für das eigene Ungeschick ab und zu beinahe im Erdboden versunken. Habe bei den Leibesübungen ja sehr oft etwas nicht zustande gebracht; es kann also sein, dass mit dem Sterben nichts wird bei mir. Ich werde das genauso wenig können wie das Pferdspringen oder die Ringe oder die Rolle rückwärts oder die Seile. Ich würde folglich ewig leben müssen. Zu Tode zittere ich mich jedenfalls gewiss nicht.

Tag, Monat, Jahr
Die Regenwürmer in Brüssel wiegen alle zusammen 8.000 Tonnen.

Tag, Monat, Jahr
Bislang auf der Erde gelebt haben 110 Milliarden Menschen.

Tag, Monat, Jahr
Einer hat jahrzehntelang ein Naturtagebuch geführt über sein Eigentum. Im 18. Jahrhundert einer war das. In dem Naturtagebuch steht an einem Tag nur, dass es gehagelt hat, und an einem nur, dass der Schnee nicht mehr da ist, und an einem, dass die Wiesen abgebrannt sind, und an einem, dass eine bestimmte Blume jetzt gerade aufblüht, und an einem, dass es 22 Grad hat und dass das sehr heiß ist und alles ist so staubig, und an einem nur, dass da jetzt so viele junge Krähen sind, und an einem nur, dass das Morgenrot heute sehr kräftig ist, und an einem, wie fleißig die Regenwürmer sind, und an einem nur, wie die Kühe heute den Teich anschauten […]

Tag, Monat, Jahr
Ich bin so unwichtig, dass ich größenwahnsinnig werden könnt. Ist nicht von mir, sondern von Karl Kraus. (Zirka.)

Tag, Monat, Jahr
Ich kann nicht lustig schreiben, es passiert zu viel. Auch zirka von Kraus.

Tag, Monat, Jahr
Karl Kraus hatte etwas gegen die Leute, die ihn angelogen oder im Stiche gelassen haben.

Tag, Monat, Jahr
Ein Stück von Handke gibt es, in dem wird nur um Hilfe gerufen in einem fort. Das ist ein wirklich gutes Stück. Das gehört in einem fort aufgeführt.

Tag, Monat, Jahr
Was die Menschen miteinander reden, muss so sein, dass es sie beschützt.

Tag, Monat, Jahr
Die Wohnungen müssen so sein, dass sie die Menschen beschützen.

Tag, Monat, Jahr
Die Arbeitsplätze müssen so sein, dass sie die Menschen beschützen.

Tag, Monat, Jahr
Der Lebensunterhalt der Menschen muss die Menschen beschützen.

Tag, Monat, Jahr
Der Schlaf muss die Menschen beschützen. Die Menschen müssen gut schlafen können. Der Schlaf ist der Hüter des Lebens.

Tag, Monat, Jahr
Warum gibt es in der Schule kein Unterrichtsfach, das Helfen heißt, und warum im Fernsehen kein Friedensprogramm? Ein paar Stunden pro Woche. Auf jedem Sender die Analysen, was man wo tun kann, und in jeder Schule Helfen als Pflichtfach für da hier.

Tag, Monat, Jahr
[…] Warum wird nicht endlich – Herrschaftszeiten! – das präventive Sozialstaatsvolksbegehren wiederholt von 2002 (initiiert damals u. a. durch Frauenministerin Dohnal, den Volksschullehrer, Notfallchirurgen, Pflegeanwalt Vogt, den Ökonomen Schulmeister, den Theologen, Historiker Tálos)? Warum drücken sich SPÖ, ÖGB, AK, Armutskonferenz, Caritas, Diakonie, APO samt KPÖ permanent vorm Sozialstaatsvolksbegehren, verstärken so die Helferhilflosigkeit massiv, welche die Folge der Defekte und Defizite des Sozialstaats ist. Z. B. der Pflegenotstand in Wahrheit seit Jahrzehnten […] Meine Erklärung des unsolidarischen Desasters, roten, (grünen) wie christlichen: der geschäftliche Konkurrenzkampf.

Tag, Monat, Jahr
Geo-Engineering: Man rettet das Weltklima mittels Weltraumspiegeln gegen die Sonnenstrahlen und mittels Weltraumvorhängen aus Schwefel gegen die Sonnenstrahlung und mittels Meerwasserzerstäubern zum Zwecke von Regenwolkenbildung. Und man schüttet Eisen ins Meer, damit das Plankton das CO2 binden kann. So also hätte man das vor. Das Ganze kommt, glaube ich, aus der Kriegstechnologie.

Tag, Monat, Jahr
Der Anteil der Migranten am Bruttosozialprodukt beträgt 9 % und sie bringen 60 % mehr in die Staatskassa, als sie dem Staat kosten. Die behördlichen Zahlen für Italien sind das. Die österreichischen erfährt man nicht so leicht, jedenfalls weder aus dem österreichischen Integrations- noch aus dem Finanzministerium. Wären sie wesentlich andere als in Italien, also ein Minusgeschäft für die Republik Österreich, wären sie gewiss publik.

Tag, Monat, Jahr
Knigge war, im Gegensatz zu dem, was heute über ihn geredet wird, ein Aufrührer und Aufständischer. Deshalb hat er nicht lange gelebt. Zur Strecke gebracht haben ihn damals die Österreicher. Er war zweifellos ein Menschenfreund […] Nach seinem Tod ist der Originaltext seines Buches über gute Manieren sofort und auch später dann immer wieder von neuem in wichtigen Passagen von den jeweiligen Herausgebern zensuriert und umgeschrieben worden. Und zwar nicht bloß in den Zeiten der Könige, Adeligen, bürgerlichen Günstlinge des Hofs, sondern auch im 20. Jahrhundert in den westlichen Demokratien, desgleichen in den Staaten des realexistierenden Sozialismus.

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Knigges Lebensthemen waren zum Beispiel, wie man sich als einer unter vielen hilfsbedürftigen Menschen mit den Institutionen des Staates am besten ins Verhältnis setzt. Vor allem aber wie man das Ganze, das Insgesamt, das Außen und das Oben, die Politik eben, … übersteht. Er war erklärtermaßen ein zartsinniger Revolutionär. Das Gefühl für Takt und Höflichkeit nämlich hat er als Zartsinn bezeichnet. Die Österreicher wie gesagt haben Knigge erledigt. Der sogenannte Knigge, das Buch, ist ein Jahr vor der Französischen Revolution entstanden und hieß dazumal Über den Umgang mit Menschen. Die Kapitel … lauten z. B.: Über den Umgang mit den Großen dieser Erde oder Über den Umgang mit Eltern, unter Verliebten, mit Hauswirten, mit Schuldnern […]

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Ärzte, Juristen, Hofleute, Bauern, Abenteurer, Spieler, Gauner, Alchimisten, [Handwerker] – alle hat Knigge beschrieben. Er war bereits im Alter von 34 Jahren ein gebrechlicher Mann, vermochte trotz aller Widrigkeiten aber sehr viel. Zum Beispiel konnte er nähen und stricken, für sich selber und für seine Tochter, auch die Schuhe konnte er selber herstellen; und er komponierte Klaviersonaten und Fagottkonzerte, übersetzte Opernlibretti, z. B. welche von Mozart, und verfasste Satiren[…] Alles eben, was nur möglich war. Er stand zu diesem Zweck jeden Morgen um 5 Uhr auf […]

Tag, Monat, Jahr
Jede Minute stirbt eine Frau bei der Geburt ihres Kindes. Und jedes Mal, wenn wir mit den Augen blinzeln, verhungert ein Kind. Und 400.000 Kinder scheißen sich unter Krämpfen zu Tode, das ist die Zahl allein in Indien jedes Jahr. Alles Menschenwerk, nix Naturkatastrophe.

Tag, Monat, Jahr
Um das Verhungern abzuschaffen und den Hunger und diese Armut, bräuchte es eine kurze Zeit lang jedes Jahr 300 Milliarden Dollar. Obwohl’s eine Zeit lang jedes Jahr wäre, ist das nicht viel. Denn die USA z. B. geben jedes Jahr mehr für ihr Militär aus als 300 Milliarden, und 300 Milliarden sind außerdem weniger als 1 % des Welteinkommens jedes Jahr. […]

Tag, Monat, Jahr
Ich würde gerne wissen, seit wann die Vögel singen können. Angeblich konnte ja kein Vogel alleine singen, sondern die haben das voneinander gelernt. Zusammen immer einer vom anderen […]

Tag, Monat, Jahr
Vor Jahrzehnten habe ich gelernt, dass Kant beim Spazierengehen kleine tote Vogel gefunden hat, die aus ihrem Nest gefallen und verhungert und verdurstet waren. Ein Nervenzusammenbruch war die Folge bei Kant. Und dann der kategorische Imperativ.

Tag, Monat, Jahr
Einer sagt: Wenn das Klima eine Bank wäre, hätte man es längst gerettet.

Tag, Monat, Jahr
Die Idee, Politikern, die nicht korrupt sind, einen hochdotierten Preis zu verleihen. Auch, damit sie nicht korrupt werden müssen. International renommiert ist das Ganze.

Tag, Monat, Jahr
In Sarajevo wollte man einen Garten der Gerechten bauen zum Gedenken an Menschen in ganz Jugoslawien, die im Krieg ihren Feinden geholfen haben. Eine Herzspezialistin hat in einem fort solche Berichte gesammelt. Ich weiß nicht, ob es diesen Garten jetzt wirklich gibt.

Tag, Monat, Jahr
Damit Menschen einträchtig leben und einander hilfreich sein können, ist es nötig, dass sie einander sicherstellen, künftig nichts zu tun, was den anderen schädigen könnte. Eine Art Staatsdefinition ist das eigentlich. [Sozialstaatsdefinition.] Von Spinoza kommt die. 17. Jahrhundert […] Einander sicherstellen, künftig nichts zu tun, was den anderen schädigen könnte.

Tag, Monat, Jahr
Im letzten Lebensjahr war Karl Marx ein paar Wochen in Monte Carlo, ich weiß nicht, ob er dort im Kasino gespielt hat. Jedenfalls hat er in Monte Carlo gesagt, die Politik, die Staaten, die Regierung seien Kasinos. In Algerien war er im letzten Jahr dann auch, in Algier, […] damals ein Kurort der englischen besseren Gesellschaft […] Auf der Reise dorthin hat Marx zum ersten Mal in seinem Leben Europa verlassen und er hat damals gewusst, dass er bald sterben wird. Er soll auch ganz anders ausgeschaut haben, die Haare und der Bart waren weg und an ihm also gewiss nichts Löwenhaftes mehr. Auf der Reise damals soll er sich, wenn ich richtig verstanden habe, die Begriffe Börsencrash, Aktiengesellschaft, Spekulationsgewinne, Rohstoffbörsen wo aufnotiert haben. Das sollen damals ganz neue Wörter gewesen sein. Erfunden wird er sie aber nicht haben. Aber das Wort Kasinokapitalismus stammt, glaube ich, sehr wohl von Marx. Dass […] die Eliten des Staates [die] Kellner in [den] Kasinos seien, hat er zum Beispiel gesagt damals.

[Tag, Monat, Jahr
Einer sagt Wirtschaftsflüchtlinge. Eine sagt hierauf lebensbedrohliche Armut, lebensgefährliche Armut und einer über bei uns da hier, die Österreicher halt, arm, krank, tot. Einer erwidert: So ein Quatsch! Da kracht’s dann.]

Tag, Monat, Jahr
In unserer Welt erfüllt sich das Schicksal Gottes. Ein chassidischer Spruch ist das, ein kabbalistischer Spruch. Dass Gott ein preisgegebenes Wesen ist, heißt es dort.

Tag, Monat, Jahr
Eine junge Frau sagt: Das Problem sind die Computer. Die Menschen glauben dadurch, alles geht automatisch. [Oder gar nicht.]

Tag, Monat, Jahr
Der Gymnasiallehrer, demnächst 40 Jahre im Beruf, helfender Beruf, vier Fächer, sagt, die Probleme der Kinder werden von Klasse zu Klasse auf- und weitergeschoben und dass in der Schule und überhaupt der viele Schein den vielen Stress mache. Der viele Schein macht den vielen Stress, ist sein Lieblingsspruch.

Tag, Monat, Jahr
Die englischen Bomber [und amerikanischen], die deutschen Frauen, die im 2. Weltkrieg aus der Feuerhölle von Hamburg geflohen sind, im Gepäck, in den Koffern, Taschen in den Zügen ihre toten kleinen Kinder. Wie die Flüchtlinge heute. Die Frau aus Afghanistan, die auf der Flucht ihr Kind nicht selber begraben hat können, es anderen gegeben hat mit der Bitte, es beizusetzen. Die hatte ihr totes Kind tagelang in ihrer Tasche gehabt. Oder vor ein paar Jahren die Frau, die mit ihrem toten Kind zurückwollte, es daheim begraben. Von da hier dann zurückgeflogen ist, mit ihrem Mann zusammen, in der Tasche eben das tote Kind auch. Immer wenn die Freiheitlichen und die ÖVPler auf die Flüchtlinge schimpfen, fallen mir Hamburg und Dresden ein und z. B. die Sudetendeutschen, die dann ja eigentlich niemand haben wollte da hier. Mit den entsetzlichen Erfahrungen der flüchtenden Menschen damals, unserer eigenen, ist da hier jetzt den Freiheitlichen und den ÖVPlern jedes Mal zu antworten, bilde ich mir ein. Mit unseren eigenen Leuten muss man denen beikommen. Ich verstehe nämlich wirklich nicht, wie man dermaßen grausam sein kann da hier jetzt wie z. B. die Freiheitlichen alle, wenn ja doch die eigenen Familien kein Leben hatten und immer in Lebensgefahr und zerstört und heimatvertrieben waren und der letzte Dreck und man selber der ja auch […]

Tag, Monat, Jahr
Einer sagt: Es ist genug Geld da. Immer!

Tag, Monat, Jahr
In den antiken Bergwerken wurden die Bruchmeister, die ja selber Zwangsarbeiter waren, aber den anderen zu sagen wussten, wo trotz allem die Gefahr am geringsten und die Überlebenschance am größten ist und wie die Arbeit am einfachsten, leichtesten vorwärtsgehe, Philosophen genannt. Das war ein Arbeits- und Ehrentitel. Die Philosophen schützten […] anderen Menschen das Leben, indem sie wichtige Stellen, Linien, Verläufe und Zusammenhänge flugs erkannten und mitteilten.

Tag, Monat, Jahr
Die Christen haben das Orgelspiel [lange Zeit] verabscheut, denn in den [römischen] Arenen wurde die Orgel gespielt, während sie abgeschlachtet wurden.

Tag, Monat, Jahr
Die Mutzenbacher in meiner Bibliothek, [von da hier die Mutzenbacherin] 33.000 Männer, eine ganze Armee. Vom 7. Lebensjahr an oder weit früher, glaube ich; und als sie, schwer krank, schwer leidend, nach einer Operation stirbt, ist sie keine 40 Jahre alt. Je nachdem, wie man alles rechnet. Aber immer alles Österreich. Ein Gaudium eben. Was denn sonst? [Ah ja: Literatur, Cineastik, Kultur! Weltkulturerbe Kindesmissbrauch!]

Tag, Monat, Jahr
Die meisten Leute verwenden die Begriffe Helferhilflosigkeit & Helfersyndrom falsch. Jedenfalls nicht im Sinne des Erfinders. [Wolfgang Schmidbauer heißt der. Und 40, 50 Jahre alt ist die Erfindung.] In Schmidbauers Augen besteht das [Schlamassel, Fiasko] darin, dass die Helfer & Helferinnen ihre Probleme & die ihrer Einrichtungen, die Arbeitsprobleme, nicht benennen, weil sie als Einzelne & als Ganzes [öffentlich] perfekt sein müssen. Daher die Katastrophen.

[Tag, Monat, Jahr
Ich weiß, dass Folgendes wahr ist: Arm pflegt arm. Beide nagen physisch wie psychisch am Existenzminimum. Beide sind ausgesperrt, beide sind eingesperrt.]

Tag, Monat, Jahr
Die EU-Fahne hat 12 Sterne, weil 12 die Vollkommenheit symbolisiert.

Tag, Monat, Jahr
Die EU-Fahne ist der Mantel der Gottesmutter. [Das schöne Blau immer.]

Tag, Monat, Jahr
Eine Französin, die im KZ gewesen war, hat ein Lied des Friedens komponiert und an die EU geschickt als Vorschlag für die EU-Hymne. Die dort wollten die Frau aber nicht und nahmen stattdessen Beethoven. Bin mir gewiss, Beethoven selber hätte die Hymne der Frau aus dem KZ bevorzugt.

Tag, Monat, Jahr
So ist mir gesagt worden, so habe ich es gelernt, so ist es auch wahr: Der österreichische Sozialstaat verringert die Armutsgefährdung bei allen[(österreichischen] Haushalten von 43 % auf 12 %.

Tag, Monat, Jahr
So ist mir gesagt worden, so habe ich es gelernt, so ist es auch wahr: Europa exportiert nur 15 bis 30 % aus dem [europäischen] Binnenmarkt hinaus, 70 bis 85 % bleiben in der EU. Der globale Konkurrenzdruck ist daher weit weniger gewaltig, als behauptet wird, und das Lohn- und Sozialdumping sind keineswegs gerechtfertigt.

Tag, Monat, Jahr
So ist mir gesagt worden, so habe ich es gelernt, so ist es auch wahr: Wenn die Menschen gebraucht werden [von Wirtschaft und Industrie], [werden] Wirtschaft [und Industrie] dafür sorgen müssen, dass [die Menschen] Leben, Arbeit und Geld haben.

Tag, Monat, Jahr
So ist mir gesagt worden, so habe ich es gelernt, so ist es auch wahr: Der Sozialstaat ist die Idee der Menschenachtung, der Chancengleichheit, der […] Absicherung bei den großen Lebenskrisen, die Gefahrengemeinschaft. Nicht jeder gegen jeden, sondern […] wer braucht, bekommt.

Tag, Monat, Jahr
Fritz Orter, in 14 Kriegen Berichterstatter. In diesen hat er die Mörder, Schänder und Quäler immer und immer wieder dasselbe sagen hören, nämlich: Wer zu uns gehört, braucht keine Angst zu haben! Den bringen wir nicht um. Wir bringen nur die um, die uns umbringen. Denen ist egal, dass wir verrecken, also ist es uns egal, dass die verrecken. Mir kommt vor, damit ist das entsetzliche Problem benannt, zugleich aber die Lösung, Befreiung daraus. Durch Orters Beschreibung eben der Kriegspsychologie ist die Herstellbarkeit von Frieden sichtbar gemacht.

Tag, Monat, Jahr
Die [Reha-]Liste, soweit mir erinnerlich: die Wolken am Himmel anschauen & in der Nacht den Mond, mit Freunden zusammen sein, in einer schönen Landschaft sein, freimütig & offen reden, jemanden loben, jemandem Komplimente machen, helfen, in der Natur sein & ihre Geräusche & Klänge hören & die Vögel & einen Fluss sehen & durch einen Wald gehen, gebraucht werden, lachen, anlächeln, angeschaut werden, Rätsel lösen, herauskönnen immer & wohin können, Ruhe & Frieden haben, jemanden berühren, küssen, liebkosen, eine schwierige Aufgabe ausführen, eine Sache gut gemacht haben, gute Einfälle & Pläne haben & eine erfreuliche Wohnung & mit anderen Menschen glücklich sein, über etwas Gutes in der Zukunft nachdenken. Vorfreude kommt auch vor. Geliebt werden. Gegenwart spüren. Um Rat gefragt werden. Guten Rat bekommen. Der geliebte Mensch ist da für einen & man selber für ihn. Zusammen halt dass man ist mit dem geliebten Menschen. Blumen. Ausflüge. Die Liste hat mir gut gefallen. Find’ sie nimmer. Macht nix. Hab sie ja irgendwie intus […] Gute Liste. Vorher war mir sehr viel nicht recht. Aber das da passt jetzt alles. Ist o. k. Angenehme Erlebnisse. Heißt so [die Reha-Liste]. Sind’s. Kein Falsch. Kein Fehl. (Find ich.) [Nein. Nein! Das österreichische Sozialstaatsvolksbegehren fehlt. Europaweit fehlt’s. Blöde Liste.]

Egon Christian Leitner, Mai 2022

Egon Christian Leitner: Was jetzt, was tun? (Teil V)

Im Gespräch mit Elke Edlinger, Markus Marterbauer, Fritz Orter, Armin Thurnher am 1. Juni 2022 in Graz im Literaturhaus, Einleitung Egon Ch. Leitner:

A.] Ehrlichkeit ist Energieersparnis, ein Berufsbergsteiger pflegt das zu Technikern, Wirtschaftsleuten, politischen Führungskräften zu sagen. Mit den eigenen Kräften sorgsam umzugehen, ist wichtig für ihn, weil er oft im Extremen ist in seinem Beruf. Er ist daher von Berufs wegen wahrheitsliebend: Er weiß, was Fehler bedeuten, sagt, wenn er einen Fehler mache, sei er weg. Er ist von Geburt an blind und sein Beruf ist zum Beispiel, dass er andere Leute auf Berge bringt. Blinde auch. Auch auf schwierige Berge alle. Die Leute vertrauen ihm. Er sagt zu den Leuten, wenn Blinde und Sehende gemeinsam auf einen Berg steigen, sei das viel sicherer, denn ihre Sinne ergänzen einander. Wenn hingegen nur Sehende auf den Berg gehen, nehmen sie weniger wahr und eine solche Tour von nur Sehenden sei in Wirklichkeit viel gefährlicher. Sein Körper sei, sagt er auch, ein Unternehmen: Die Oberen, die Vorgesetzten seien unzuverlässig und unfähig (seine Augen nämlich), und diejenigen, die unten arbeiten müssen im Unternehmen, bluten oft, nämlich seine Knie und seine Hände. Seine Schwester ist ebenfalls von Kind an blind. Die Eltern haben die blinden Kinder stets so erzogen wie Sehende. Zum Beispiel haben sie für sie jedes Jahr die Christbäume geschmückt und die Kerzen angezündet und haben ihren Kindern Eislaufen und Skifahren und Radfahren beigebracht. Egal, was die Leute damals gesagt haben. Die Nachbarn sollen die Köpfe geschüttelt haben, was die Eltern da aufführen und wozu das denn gut sein solle und ob die Eltern denn blöde seien. Der Bergsteiger sagt des Weiteren, dass das Wort UNABHÄNGIG die größte Lüge sei, die unsere Gesellschaft erfunden habe. Unabhängigkeit sei heutzutage und überhaupt eine Art Betrug. In Wahrheit sei niemand unabhängig, denn jeder brauche dauernd andere Menschen. Und das sei ja vielleicht auch der Sinn des Lebens. Der Bergsteiger sagt auch, dass er es in seinem Beruf eigentlich nie mit der Angst zu tun bekomme, denn er sehe ja nichts und daher in keinen Abgrund hinunter. Sondern der Körper sei mit ganz anderen Dingen beschäftigt, mit dem wirklich Wichtigen eben.

B.] Die Frau, die einen Laib Brot um 70 Milliarden Euro einkaufen muss, ein paar Tage später fällt der Brotpreis auf 40 Milliarden Euro. Sie glaubt, dass das Leben der Menschen ein ständiges Gesundwerden sei, eine Art Übung, der zur Folge die Menschen einmal leben können werden. Die kleinen Leute und deren Familien haben, sagt sie, nur die Gesundheit; die ist die Arbeitskraft; wenn sie die verlieren, seien sie verloren. Aber einmal werde das alles anders sein. Die Frau ruft immer nach ihrem Kind, sagt, sie wisse doch, dass es da sei; es solle sich ihr doch zeigen. Vor ein paar Wochen ist es im Krieg zugrunde gegangen. Gleich am Anfang des Krieges. Als der dann Jahre später zu Ende ist, fragt sie alle möglichen Leute, ob sie wissen, wer jetzt in diesem Krieg der letzte Gefallene ist. Bekommt keine Antwort. Jahrelang bearbeitet sie dieselben Steine. Die stellt sie in dem anderen Land auf das gewaltige, riesige Feld, wo sie weiß, dass dort ihr Kind umgekommen ist. Immer bildet sie Mütter ab, die Kinder schützen. Und einmal eben sieht sie im Fluss vor sich eine tote Mutter, die wie eine schwimmende Insel auf dem Wasser treibt, und ein Kind sitzt auf dem toten Körper in Sicherheit. Dass man ja doch endlich losbrechen müsse, auf jede erdenkliche Weise losbrechen, flehte sie. Mitreißend lachen konnte sie auch. Brach oft in freundliches Lachen aus, mit anderen zusammen, in befreiendes Lachen, wie man so sagt, und da war alles gut dann für die Zeit für die Leut’, die mit ihr waren, und für die Frau selber auch und alles, was zu tun war, ging da als ob von selber und genug Kraft war da für alles. Der Losbruch der Käthe Kollwitz. Wer noch?

C.] Man soll fauchen wie ein Löwe. Brummen wie ein Bär. Meckern wie eine Ziege. Oder man soll einander freundlich zuwinken. Lachyoga. Lachen und dabei in die Hände klatschen macht munter; die Lachlaute sind je verschieden gut: Hihi weckt einen auf, das Hirn. Haha labt das Herz, Hehe den Hals und die Gefühle und macht immun. Hoho ist gut gegen den Groll, gegen die Wut. HihihiHeheheHahahaHohoho soll man der Reihe nach lachen, weil das heilsam ist. Und mit den Armen schwingen wie ein Vogel und dabei eben lachen soll man. Oder sich auf den Rücken werfen wie ein Käfer, der um sein Leben kämpft und sich abstrampelt und wieder auf die Beine kommt. Lustig Lachen kann jedenfalls jeder. In jeder Lebenslage. Und man muss eben immer tun, was man kann. Huhuhu ist auch gut, fürs Gedärm in jeder Hinsicht. Um den Alltag zurzeit und künftig geht es heute Abend, sehr geehrte Damen und Herren, um nichts sonst. Sollte Ihnen das, was ich in meinem Teil der Veranstaltung Ihnen bislang zugemutet habe, bereits zu viel geworden sein, in Besonderheit angesichts der permanenten realen eskalierenden Ausnahmezustände, in die politisch, sozial und ökonomisch zurzeit immer unausweichlicher hineingeraten wird – nun, mit Verlaub: Systematisches Auslachen oder auch systematisches innerliches Lachen hilft angeblich auch in Extremsituationen. Just eben in diesen. Hahaha sofort gegen jede Angst. Hihihi, auf dass das Gehirn munter ist, Hehehe für die eigene Immunität und den eigenen Hals, Hohoho gegen Groll, fremden wie vergeblichen eigenen, und Huhuhu eben fürs Gedärm in jeglicher Hinsicht. HahaHeheHihiHohoHuhu.
Apropos C: Der Dalai Lama, sehr verehrte Damen und Herren, fehlt mir seit Jahren sehr und jetzt sowieso. Der ist mir früher immer furchtbar auf die Nerven gegangen, weil der immer, wo er gerade war, Hand in Hand mit allen jeglichen Politikern gegangen ist. Die roten und grünen Politiker waren stolz und haben sich gefreut, doch freundlich die Händchen haltend ist der Dalai Lama halt mit Ronald Reagan und Bush Vater und Sohn auch gegangen und mit dem Jörg Haider sowieso. Und hat eben immer so viel gelacht dabei. Das Ganze sehe ich wie gesagt aber inzwischen wirklich anders und bin nicht mehr aufgebracht, weil vor den Kopf und abgestoßen, sondern der Dalai Lama fehlt mir jetzt tatsächlich sehr. Sein öffentliches Lachen eben und sein öffentliches Handhalten und das Hand-in-Hand-Gehen. Einmal nämlich habe ich wahrgenommen, wie zerbrechlich Vaclav Havel dagestanden ist und den Dalai Lama angestaunt hat wie ein Kind den Nikolaus. Das hat mich sehr berührt. Und gar einer der namhaftesten und verblüffendsten Psychologen der Gegenwart ist, Schmäh ohne, durch den Dalai Lama gesundet. Die beiden sind nur dagesessen und haben einander die Hände gehalten. Stundenlang ist das so gegangen, fast einen Tag lang. Der Psycholog’ war als Kind und junger Mensch von seinem unberechenbaren Vater ständig schwer misshandelt worden, bis ins wehrhafte Erwachsenenalter eben, und die unberechenbare Mutter des Psychologen hat andauernd ausgerechnet ihr Kind für alles nur Erdenkliche im Leben beschuldigt und sich umgebracht, als es, der Psychologe, 14 Jahre alt war. Von diesen Dinghaftigkeiten her kam dann die ständige Wut des Psychologen, sein schmerzhafter Jähzorn und dass er immer unterscheiden können wollte und will, können musste, wann ein Mensch wirklich die Wahrheit sagt und in der Realität ist, also wirklich und wahr ist, und wann hingegen dieser Mensch lügt. Der Psychologe ist eben notgedrungen von klein auf ein Gesichtsforscher gewesen. Das Gesicht ist dem das Wichtigste geworden. Die kleinsten Bewegungen. Was geschieht jetzt: Erfolgt die Misshandlung oder hat man Glück. Werden die wieder wahnsinnig oder geht’s gut aus diesmal oder bleibt man ganz verschont. Oder wann hören die endlich auf. Er schult, wie das eben so ist, alle möglichen Leute, solche und solche, die Opfer und die Täter, Manager auch und Geschäftsleute und Medienleute und Kriminalisten, Fahnder, Ermittler. Das Unterscheiden-Können von Wahrheit und Lüge, Gut und Böse, Lebensfreude und Quälen, Wirklichkeit und Vernichten. Sich nicht verwirren lassen in den Situationen. Im Alltag nicht und in den Extremen nicht. Darum geht’s bei besagtem Psychologen. Und Vaclav Havel wie gesagt hat den lachenden Dalai Lama öffentlich vor Kamera empfangen und wie ein glückliches kleines Kind ihn angestaunt, als ob plötzlich der Nikolaus mit Sack und Stab bei der Tür hereinkommt. Ein paar österreichische Politiker sind dem Dalai Lama außerdem zwischendurch ja doch eh ziemlich auf die Nerven gegangen. Eine CD gibt’s nämlich, auf der er das OM intoniert, singt. Ich glaube: Minimum 20 Minuten lang. Eine Ewigkeit somit. Denn dieses OM des Dalai Lama geht einem angeblich durch und durch und bringt beim Hören irgendwie in extreme Zustände samt Schweißausbrüchen in den ersten Sekunden schon. Ein paar Leute eben sind in Besitz solcher CDs gekommen, österreichische Politiker eben auch. Und der Dalai Lama soll in der Folge sehr verärgert gewesen sein. Um den Tod geht’s beim OM und so weiter und ums Leben eben und auf der CD eben auch. Die endlose Göttin gebiert die endlose Welt unter endlosen Schmerzen. Der Laut dazu ist das OM. Ist mir erzählt worden. Jedenfalls haben den Dalai Lama ein paar österreichische dazumal führende Politiker diesbezüglich ziemlich zornig gemacht. Der Dalai Lama, der mir jetzt so fehlt, wurde als kleines Kind zuvorderst deshalb als solcher erkannt, weil er so große Ohren hatte. Das war ganz wichtig. Die Ohren machen die Wiedergeburt aus. Die mitleidsvolle. Das Lachen des Dalai Lama und das verlässliche Handhalten und die lustigen Ohren fehlen heutzutage allüberall, finde ich. Und dass es durch ihn früher eben doch ein bisserl lustiger war auf der Welt. Politisch und überhaupt. Die Welt als Wille und Vorstellung hat Schopenhauer zu solcherlei gesagt und der war ja irgendwie indisch-buddhistisch: Mögen alle lebenden Wesen frei sein von Schmerz. / Verletze niemanden, sondern hilf, so gut Du nur kannst. / Mögen alle lebenden Wesen frei sein von Schmerz. So hat Schopenhauer das Ganze sich jeweils gewünscht und vorgestellt. Die sogenannte Wunderfrage, kennen Sie die, sehr verehrte Damen und Herren? Die ist auch etwas Therapeutisches und eine Kommunikations- und eine Gesellschaftslehre auch. Gefragt wird man, wie das ist, wenn man sich schlafen legt und am nächsten Morgen aufwacht und die quälendsten, verhinderndsten Probleme plötzlich nicht mehr da sind. Es gibt die Probleme gar nicht mehr. Wie lebt man dann? Dieses Leben müsse man sich vorstellen. Man lebt es sodann. So in etwa ist das gedacht. Die sogenannte Wunderfrage. Eine Provokation sondergleichen. Finde ich. ‒
Ah ja, damit ich’s nicht vergesse, sehr verehrte Damen und Herren:
Niemand verlässt den Raum. Alle Ausgänge sind versperrt. Sie kommen hier erst wieder raus, wenn Sie die Probleme, derentwegen Sie hergekommen sind, gemeinsam gelöst haben. Es ist mir völlig egal, ob Sie dafür 2 Sekunden, 2 Minuten, 2 Stunden, 2 Tage, 2 Wochen, 2 Monate oder 2 Jahrtausende brauchen. Ob Sie überleben oder ob Sie jetzt mitsamt Ihren Familien Ihrer Existenz verlustig gehen, hängt einzig und allein von Ihnen ab. Wenn Sie etwas taugen, haben Sie nichts zu befürchten. ‒ In etwa auf diese Art und Weise pflegte Pierpont Morgan, zu seiner Zeit der mächtigste Bankier der Welt, wirtschaftliche Extremsituationen zu bereinigen und politische Katastrophen abzuwenden. Im Oktober 1907 bewahrte Morgan auf diese Art und Weise die Stadt New York vor dem sofortigen Bankrott, im November 1907 die Wallstreet und damit die amerikanische Volkswirtschaft vor dem Zusammenbruch, 12 Jahre zuvor, 1895, rettete er mit seinen Manieren und seinem Geld die Londoner Börse. 1929, angesichts des Schwarzen Freitags, trafen sich die mächtigsten Bank- und Konzernchefs der USA von neuem in Morgans Bankhaus. Diesmal blieb das Wunder von 1907 aus. Außerdem war der Wundertäter von 1907, John Pierpont Morgan, 1929 schon lange tot. Morgan mied und verhinderte ruinösen Wettbewerb, verlangte, heißt es, von Unternehmern und Geldleuten worttreue Integrität. Pierpont Morgan starb 1913, ein Jahr nach dem Untergang der Titanic. Er hatte die Titanic finanziell ermöglicht und das Schiffsunglück quälte ihn menschlich zutiefst. Er litt von Jugend an an tiefen Depressionen und schweren Ausfällen des Bewegungsapparates. Pierpont Morgan ertrug sein Äußeres kaum, ließ alle seine Pressefotografien retuschieren, wollte als Kunstsammler und als Gentleman bewundert werden. Seine Kritiker allerdings verweigern ihm, ob zu Recht oder zu Unrecht, entzieht sich meiner Kenntnis, die Bewunderung und den Respekt. Morgan habe nämlich in Wahrheit die amerikanischen Unternehmen, die Wallstreet, die amerikanischen Gemeinwesen, die US-Volkswirtschaft nicht aus gewaltigen Notsituationen gerettet, sondern jahrzehntelang immer wieder ganz bewusst in solche Notsituationen manövriert und daraus seine Kartelle, seine Trusts, sein Imperium lukriert, seine Banken, seine Eisenbahnen, seinen Stahlkonzern US-Steel, den größten damals der Welt. Gerade auch vom Crashjahr 1907 habe Morgan eiskalt profitiert, denn der damalige amerikanische Präsident ließ, sei es aus ökonomischer Vernunft, sei es als Dankesgeschenk, illegale Konzernübernahmen durch Morgans US-Steel zu. Außerdem habe durch Morgan die Wallstreet 1907 endgültig die Macht über die US-Volkswirtschaft übernehmen können. 1912, im Jahr eben der Titanic-Katastrophe, musste sich Morgan vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss für seine Kreditvergaben, Kreditverweigerungen, Fusionspraktiken und Trustverflechtungen verantworten. Völlig folgenlos für ihn. In der Einvernahme blieb er dabei: Geld habe er immer nur nach dem Charakter verliehen, denn der Charakter zähle für ihn weit mehr als sonst etwas auf der Welt. In Erinnerung an das Schreckensjahr 1907 übrigens, in dem die amerikanische Wirtschaft plötzlich ohne Geld dagestanden war und die Zukunft Amerikas von einem einzigen Mann abgehangen war, wurde die amerikanische Notenbank geschaffen. Zuvor hat es keine ähnliche staatliche Institution gegeben. Aus Pierpont Morgans Titanic-Schock freilich und von Pierpont Morgans systematischem Zusammenzwingen der Kontrahenten in andernfalls mörderischen Konflikten, Wirtschaftskriegen, wirtschaftlichen Bürgerkriegen hat die Nachwelt im Guten aber, vermute ich, nahezu nichts gelernt. Und das Schiff, das Schiff war neueste Spitzentechnik und die Mannschaft Elite und der Kapitän der Beste, daher wurde weitergemacht. Andere wären längst umgekehrt. Hätten sich das alles nicht getraut.

D.] Bin zufällig in einer Gruppe Anonymer Alkoholiker. Bin zutiefst beeindruckt. Von den Leuten da. Diese Unaufdringlichkeit, Bescheidenheit, Hilfsbereitschaft, Verlässlichkeit! Die AAs erzählen einander ihre Leben und wer wofür gut war. Sie sind nicht zerstört worden. Von den Zufällen, den Augenblicken erzählen sie. Vom Glück statt vom Schicksal. Menschen, die schon alles verloren oder zerstört haben, plötzlich einen lieben Menschen nicht verlieren wollen, die Frau, das Kind. Oder die plötzlich nicht dermaßen entstellt aufgefunden werden wollen. Oder irgendjemand fällt ihnen plötzlich noch ein, ein Gesicht. Ein geliebter Mensch. Zwischendurch ist das Ganze religiös. Aber das ist gut so, nur so ist Religion gut. Die AAs helfen einander, sind da, wenn sie gebraucht werden. Da ist jemand, ganz sicher, immer, egal, was geschieht. Man ist nicht allein, nutzt niemanden aus, bringt einander nicht um. Die anderen und der lebendige Gott und die Gewissenserforschung geben den Halt und alle Sicherheit. Die ersetzt, ersetzen die Sucht. Die[se] AAs [da] finden diese Art Gott wirklich plötzlich, die Erlösung, das Leben. Was mich besonders beeindruckt, ist das, was die AAs furchtlose Inventur nennen. Da erforschen sie, was sie selber anderen angetan haben. Antun, in der Sucht, durch die Sucht. Überlegen sich, wie sie das abstellen und wiedergutmachen können. Tun das dann auch. Aber unaufdringlich. Quälen niemanden mit ihrer Suchtvergangenheit, ihren Schäbigkeiten, wenn es den anderen, den früheren Opfern der Suchtkranken, von neuem Schmerzen bereiten würde; wollen niemandem neue Probleme machen. Sagen die volle Wahrheit denen, die sie hören wollen und denen sie vielleicht hilft. Jedenfalls haben mich die Anonymen Alkoholiker im tiefsten Herzen getroffen. Eine junge Frau, die nicht zugrunde gegangen ist, wird jetzt Jugendarbeiterin, ist überglücklich darüber. Glaubt, sie werde wirklich helfen können. Ich glaube ihr das auch. Sie wird von der Stadt angestellt. […] Eine Frau, die ihr Kind durch Suizid verloren hat, arbeitssüchtig gewesen war, hat die Anonymen Alkoholiker in die Veranstaltung eingeladen, bei der ich zugehört habe. Wirklich gelungen, weil durchdacht, weil durchlebt, war das Ganze. Das Beste, was ich je wahrgenommen habe. […] Die AAs sind eine wirkliche Hilfe. […] Der Anstand, der Charakter der AAs, der hilft. Jedem Menschen, glaube ich. Zu wissen, dass es das doch gibt! Dass es möglich ist! […A]lles ein Können! Alles Sicherheit. Hilfe. Man muss nicht sterben. Will leben, kann es. / Wenn Kinder erzählen, erzählt später dann eine Kinderärztin, fangen sie damit eben an und hören auf, wo es ihnen passt. Reden dann etwas ganz anderes. Und dann irgendwann einmal fangen sie wieder beim Schlimmen, Betrüblichen an, hören aber wieder auf und reden vom Guten, jauchzend, himmelhoch, und dann sind sie wieder betrübt oder vorsichtig und schweigen. Je nachdem, wie der Mensch ist, dem sie erzählen, erzählen sie selber. Zum Beispiel, wie schlimm die Sache ist. Sie schauen zwischendurch immer, ob sie dem, dem sie berichten, vertrauen können oder ob sie ihn in Schwierigkeiten bringen oder Schmerzen oder Schaden zufügen. Da hören sie dann sofort auf […]
Hiermit bin ich mit meinem ABC beim D am Ende, sehr verehrte Damen und Herren. Dass ich Sie hiermit unverschämter- und anmaßenderweise im schwachen Denken zu alphabetisieren getrachtet habe, mögen Sie mir bitte verzeihen. Ich hab’s sicherheitshalber deshalb getan, weil mir ein mir lieber Freund, um mich besorgt, gerade auch für den heutigen Abend da hier viel Kraft gewünscht hat. Und eine Freundin von früher hat mich besorgt gewarnt, ich solle ja nicht mit dem Publikum und dem Podium und gar den Veranstaltern streiten wollen und anfangen, mit Streit betoniere ich alles zu. Mich selber sowieso. Ein derartiges Verhalten wäre völlig kontraproduktiv in so schweren Zeiten, in denen ohnehin alle es so machen. Und dass ich ein verfehltes Verständnis von der gegenwärtigen Öffentlichkeit habe und mein Vertrauen vermutlich vergeblich in eben diese gegenwärtige Öffentlichkeit setze, ist mir auch gesagt worden. Was zurzeit vor sich gehe, sei nämlich wie vor mindestens 4.000 Jahren. Ein universitärer Friedensarbeiter, zuständig unter anderem für Medien, hat mir das so erklärt. Und wieder jemand anders, ein mir lustiger Berufshelfer, dass ich ja auf meine Gesundheit aufpassen soll und für viele Leute wie von einem anderen Planeten bin mit meinen ja doch vehementen Vorhaben und meinem vielen sehr seltsamen Vertrauen. In der Folge der vielen ratenden Besorgtheiten habe ich mich für den heutigen Abend und für künftig ein für alle Mal fürs schwache Denken und dessen Sympathisanten und Sympathisantinnen entschieden. Ist mir ja außerdem eh gar nicht anders möglich. Ist mir leichter so. Nicht nur mir. Mit Verlaub. Schwache Denkerinnen und schwache Denker und die Sympathisanten des schwachen Denkens halten sich zum Beispiel eher nicht an Zeitvorgaben samt Zwang, sondern sagen, Geschwindigkeit sei wie Krieg, Meute, Hetze, Jagen, Rausch, Furcht, Flucht, Schläge, Schüsse, Detonation. Oder sie reden davon, dass niemand vor irgendwas gefeit sei im Leben und üben das Sich-an-die-Stelle-des – Anderen-Versetzen-im-sozialen-Raum. Oder sie beschreiben das Überwältigt-Werden und das Ausgeliefert-Sein und den Schmerz, den Schock, das Lachen, das Atmen, Ein, Aus. Und was sie schwitzen, hören, riechen, schmecken, vor Augen haben, die Enge, die Weite, frieren, den Durst, den Hunger. Die Gefühle eben und die Empfindungen oder die Witterungen. Oder sie behaupten, wir leben allesamt in Tätergesellschaften und in der Angst, den Tätern zum Opfer zu fallen, selber Opfer zu werden, und halten deshalb zu den Tätern. Verhalten uns wie die Täter; werden die. Judith Nisse Shklar, geboren in Litauen und zu Lebzeiten eine der angesehensten Politologinnen der USA, hat das so geäußert, durchaus über die USA auch. Und zwar in ihrer Schrift Über Ungerechtigkeit und das Unrechtsempfinden und über das Beschuldigen der Opfer statt der Täter. Noch einen Sympathisanten, US-amerikanischen, des schwachen Denkens nenne ich hiermit namentlich: Rorty. Der litt zeitlebens mit an den Kriegserlebnissen seines zerrütteten Vaters. Für Richard Rorty war alles voll so viel Zufall und fragil und war die endlose Grausamkeit das Schlimmste im Leben. Das ist übrigens meistens so im sogenannten schwachen Denken. Das ist irgendwie schopenhauerianisch. Die Grausamkeit dürfe nicht sein und die Demütigungen dürfen nicht sein, heißt’s im schwachen Denken. Rorty glaubte keinen Schimmer an Gott, wohl aber an die Frauen und Kinder und im Übrigen daran, dass die Menschen einfühlsame Tiere sind, fähig, sich umeinander zu kümmern und gut aufgelegt zu sein und sich freundlich über allen möglichen zerstörerischen Quatsch rechtzeitig und heilsam lustig zu machen. Und statt in einem fort zu pseudoargumentieren, sollen die Menschen lieber quer durch die Nationen, Herkünfte, Zugehörigkeiten, Klassen, Schichten und Milieus heiraten oder ähnliches und ihren Kindern sollen sie beibringen, mitfühlend und hilfsbereit zu sein und auch später als Erwachsene bitte nicht verlogen. Dergestalt komme viel Frieden zustande statt der vielen Grausamkeit. Sagte Rorty, in etwa. Von Comics, Kino, Fernsehen und Medien hielt der viel, auch durchaus von Kitsch. Von allem eben, was gegebenenfalls, wenn man’s richtig macht statt falsch, dazu führt, dass Menschen sich miteinander identifizieren statt verfeinden. Vom freundlich und ehrlich und unaufdringlich Miteinander-Reden hielt er freilich am meisten. Die Staaten, jeden Staat, auch jede Demokratie, hielt er hingegen für nahezu jederzeit zu allem fähig, sowohl nach außen als auch nach innen, für faschismusfähig eben. Es komme nur auf die Umstände und Situationen an; auf die sogenannte Ausnahmesituation z. B. und den Dauerstress. Soviel zu Richard Rortys Halt im Leben. Sogar Kants Schrift Zum ewigen Frieden wird mitunter dem schwachen Denken zugerechnet. Jedenfalls ist diese lustig verfasst und lustig zu lesen. Wie ein Vertragsentwurf komponiert und elaboriert mit Präambeln und Anhängen und Klauseln und geheimen Zusatzartikeln. Ein fertiges Formular durchaus, in das man eigentlich nur mehr die Namen, Orte und sonstige Daten einzufügen bräuchte, dann könnte man es problemlos unterschreiben und dann ist wirklich Frieden und das bleibt dann Gott sei Dank auch so. Keinen in Verschuldung und Geldnot treiben; keine Irreführung, keine Heimtücke, keine Hinterlist; der Staat ist gewaltengeteilt und ein Rechtsstaat und an das Recht sind alle gebunden, gerade auch die Mächtigen, Reichen und Regierenden; irgendwie repräsentativ-demokratisch ist das Ganze bei Kant und jeder, der für einen Krieg stimmen will, muss wissen, dass auch er selber sämtliche Folgen des Krieges zu tragen haben wird. So ist das bei Kant. So steht’s im Vertrag. Schwaches Denken, aber prima! Meines Erachtens. Statt Aufklärung hat Kant übrigens auch gern Beleuchtung der Geschäfte gesagt. Und Kants Königsberg heißt jetzt Kaliningrad und ist 2 x so groß wie Graz zirka und russisch eben und liegt mitten in Europa ganz weit weg von Russland und die russische Ostseeflotte, die Baltikumflotte, ist dort stationiert und das auf die EU mitsamt Europa gerichtete Atomwaffenarsenal der Russen ist dort auch stationiert und russische Manöver sind jetzt dort auch beständig im Gange und Immanuel Kant rotiert dort eben seit über 200 Jahren in seinem Grab und findet seinen Frieden nicht. Obwohl ja wirklich alles im Vertrag steht. Aber die unterschreiben alle immer nie.
Unglück in Glück drehen, gemeint ist die Fügung, wie wenn eine Hebamme das Kind im Bauch dreht, so das Baby und die Mutter außer Gefahr bringt. Diese richtige, gekonnte, gelernte, zuversichtliche, einfache Handgrifffolge bei der Geburt wird vollführt ‒ und alles geht gut aus in dem Moment. Kein Schicksal waltet. Das Leben und die Chancen sind doch da. Werner Vogt sagt die Worte manchmal: Unglück in Glück drehen. Seinen Beruf als Arzt, als politischer Arzt, hat er wohl so gesehen. Konflikten ist er, wie Sie, sehr verehrte Damen und Herren, vielleicht wissen, nur selten aus dem Weg gegangen. Vielmehr waren die Konflikte, sagt er, seine Form der Nächstenliebe. Die wirklichen Probleme auf diese Weise zu handhaben und zu lösen, war Vogts Ausweg. Nämlich die Öffentlichkeit, der öffentlich ausgetragene Konflikt, das Vertrauen in die Öffentlichkeit und in den Rechtsstaat; und der Schutz durch beide waren sein Ausweg. Anfang Februar hat Vogt Geburtstag gehabt. Er war zeit seines Berufslebens Unfallchirurg. In jungen Jahren war er freilich zuerst Volksschullehrer gewesen. Ein Tiroler, wie Sie vielleicht ebenfalls wissen, sehr geschätzte Damen und Herren, ist er und ab irgendwann studierte er Medizin in Wien und tat seine Arbeit dann dort so, dass er in der Folge bei den ihm Anvertrauten und Schutzbefohlenen beliebtest war. Bei Politikern hingegen des Öfteren nicht sehr. Vor ein paar Jahren wurde er für sein Lebenswerk ausgezeichnet, in Besonderheit für seine Zivilcourage, und zwar von der Ärztekammer, und vorvoriges Jahr bekam er einen höchst ehrenvollen österreichischen Menschenrechtspreis. Überreicht wurde der von einer Richterin. Der erste Wiener Pflegeanwalt ist er auch eine Zeitlang gewesen. Jedenfalls waren Vogts Gutachten gleich zutreffend wie unbestechlich. Des Weiteren hat er beispielsweise die Abhilfe schaffenden Einfälle, welche Heimbewohnerinnen und Heimbewohner und deren Angehörige ihm oft in größter Verzweiflung anvertraut haben, damit das Leben endlich leichter wird für sie oder damit das, was ihnen selber widerfahren ist, anderen erspart bleibt, öffentlich gemacht. Z. B. das Recht auf den Garten müsse es endlich geben, nämlich die Betten ins Freie schieben. So können auch diejenigen ins Freie, die nicht mehr aus dem Bett kommen. Und endlich ein für alle Male dafür gesorgt müsse bitte werden, dass genug nicht kaputte Rollstühle da sind und dass die Barrieren, die 2, 3 Stufen, überbrückt werden oder ganz weggemacht, damit wirklich ein Weg ins Freie da ist für jede und jeden im Heim. Und auch, dass um Gottes willen doch ja ein Mensch da ist und Zeit hat, mitzugehen. Und prinzipiell dafür Sorge zu tragen sei, dass die Menschen im Heim ihren früheren Lebensrhythmus, Tag- und Nachtrhythmus, von zuhause eben auch im Heim beibehalten können und auch ihre ihnen wertvollen Lebensgegenstände von früher, z. B. ein paar Möbel. Und ein Grundrecht auf Lebensfreude müsse es sowieso endlich geben; und die frühere Lebensgeschichte müsse jemanden interessieren dort im Heim. Und das Essen müsse, zumal ja basale Sinnestätigkeit, köstlich sein statt abstoßend. Und möglichst nahe dort habe man die Heimplätze den Menschen sicherzustellen, wo die Menschen daheim waren, nicht irgendwo total weit weg von früher und dadurch total isoliert von allen und von allem. Grundsätzlich dürfen die Pflegeheime, so Vogt, niemals zu isolierenden und geschlossenen Anstalten werden, sondern müssen stets offen sein – denn durch die Offenheit und Öffentlichkeit der Einrichtungen bekommen sowohl die Patienten als auch das Pflegepersonal Hilfe von draußen und wird ihre alltäglich zugemutete Lebens- und Berufsnot zumindest gelindert; Aktion unschuldiger Blick hat Vogt derlei einmal genannt und die österreichische Bevölkerung dazu aufgerufen. Und das weiße Nachtkästchen darf um Gottes Willen nicht zum einzigen Privatraum der alten Frauen und alten Männer werden, hat eine Tochter an Vogt einmal voller Schuldgefühle in einem Brief geschrieben. Und die Motorik und Selbstständigkeit müssen mit allen Mitteln den Menschen solange nur irgend möglich aufrecht erhalten werden und die Intimsphäre absolut gewahrt. Und alles, was die Heimbewohner und die Angehörigen und die Schwestern und Pfleger zur Erleichterung vorschlagen und was sie alle eben selber sagen, dass sie brauchen, und was ihnen sinnvoll erscheint, müsse irgend möglich wirklich realisiert werden. Der Schutz, die Stressminimierung, die Autonomie und das Wohlergehen der Pflegepatienten seien außerdem zugleich der Schutz und das Wohlergehen der Pflegenden. Denn je unselbstständiger, abhängiger, hinfälliger und zerbrechlicher Menschen werden, z. B. durch Windeln und Schlaftabletten infolge der Einsparungen an Personal, Zeit und Geld, also je schäbiger, unzumutbarer, schwerer und rechtsverletzter das Leben den Heimbewohnerinnen und -bewohnern gemacht wird, umso schwerer, unzumutbarer und rechtsverletzter werden dadurch wie gesagt das Arbeitsleid und das Berufsleben der Schwestern und Pfleger. So einfach ist das alles. Es steht beispielsweise bei Vogt seit Jahrzehnten so publiziert. Man hat jedoch politikerseits das Menschen gefährdende Grundproblem, die gefährliche Grundstruktur, seit immer schon ignoriert, und so auch jetzt dann eben beim Isolieren der Pflegeheime im Jahr 2020 folgende. Man hat also die Pflegeheime zu geschlossenen Anstalten gemacht und dort drinnen sowohl die zu Pflegenden als auch die Pflegenden mit ihren Schwierigkeiten mutterseelenallein gelassen. Im Stiche eben.
Das Sozialstaatsvolksbegehren. Europaweit. Von Österreich aus das Ganze. Werner Vogt z. B. hat so etwas immer wieder zu realisieren versucht. Angeblich hat zwar hierzulande noch kein Volksbegehren je etwas bewirkt und glauben alle, es gehe bloß um Unterschriften. Falsch! Das österreichische Sozialstaatsvolksbegehren 2002, initiiert damals wie gesagt z. B. von Vogt und von Johanna Dohnal sowieso, ging bloß zu schnell (vorbei). Und, obwohl geglückt, infolge von Parlamentsauflösung infolge von Haider samt damaliger regierungsmachthabender Buberl- und Mäderlpartie in die Binsen. Das Potential wären wohl 1,5 Millionen Stimmen gewesen. Es hätte ein österreichweiter Diskussions- und Lernprozess werden sollen zum Zwecke der gemeinsamen Prävention vor künftigen Katastrophen. Im Gesundheits-, Pflege-, Bildungswesen, Wirtschaftsgebaren und Arbeitsleben. Die Sicherung ausreichender Grundversorgung in allen Bereichen. Geschützt dies durch die Verfassung. Wäre es bereits 2002 gelungen oder wäre die Idee, es zu wiederholen, nicht am Eigennutz von Parteien und Verbänden gescheitert, wäre der österreichischen Bevölkerung, bilde ich mir halt ein, viel jetzige Unbill erspart geblieben. Das Sozialstaatsvolksbegehren jetzt endlich wieder zu bewerkstelligen, würde da hier vor Schrecknis und viel Schlimmem bewahren. Angesichts des Weltwirtschaftskrieges und der permanenten Seuche und der weiteren anstehenden Naturkatastrophen und des totalen Ukraine-Massakers ist ein Sozialstaatsvolksbegehren oder etwas möglichst ähnlich Substanzielles dringende Notwendigkeit. Zwecks Sicherung der Grundversorgungen. Versorgungssicherheit! Zwar hat’s ja jetzt das vergebliche Volksbegehren gegen Kinderarmut, Verarmung, Arbeitslosennot gegeben. Und das entschlossene gemeinsame Vorgehen der Pflegeverbände, endlich. Und das zeigt vorgeblich Wirkung. Und CARE und MORE CARE gibt’s und auf die hoffe ich wirklich am meisten von allen. Aber einbilden tu ich mir eben und partout das präventive Sozialstaatsvolksbegehren von 2002. Mit Hand und Fuß das prophylaktische Sozialstaatsvolksbegehren von der Dohnal und dem Werner Vogt und vom Stephan Schulmeister und von Emmerich Tálos und so weiter und so fort.
Im Übrigen hat Werner Vogt einmal wie folgt formuliert: Das Ziel ist tatsächlich der Weg. Auf die Weise erspart man sich und den anderen die zeit- und kraftraubenden Umwege, die zu nichts führen als in die Irre, und die Ausflüchte, die ohnehin danebengehen. Wenn das Ziel der Weg ist, braucht man und darf man nichts aufschieben. Das, was zu tun ist, wird dadurch erreicht, dass man es tut.
Fritz Orter, in 14 Kriegen Berichterstatter. In diesen hat er die Mörder, Schänder und Quäler immer und immer wieder dasselbe sagen hören, nämlich: Wer zu uns gehört, braucht keine Angst zu haben! Den bringen wir nicht um. Wir bringen nur die um, die uns umbringen. Denen ist egal, dass wir verrecken, also ist es uns egal, dass die verrecken. Mir kommt vor, damit ist das entsetzliche Problem benannt, zugleich aber die Lösung, Befreiung daraus. Durch Orters Beschreibung der Kriegspsychologie ist die Herstellbarkeit von Frieden sichtbar gemacht. ‒ Damit Menschen einträchtig leben und einander hilfreich sein können, ist es nötig, dass sie einander sicherstellen, künftig nichts zu tun, was den anderen schädigen könnte. Eine Art Staatsdefinition ist das eigentlich. Von Spinoza kommt die. 17. Jahrhundert, Spinozas Reaktion auf den Dreißigjährigen Krieg war die wohl auch. Infolge des Dreißigjährigen totalen Krieges ist man übrigens, heißt’s, für 200, 300 Jahre in der Tat vorsichtiger geworden in Europa beim Kriegführen. Bis zum Ersten Weltkrieg. Wie auch immer: einander sicherstellen, künftig nichts zu tun, was den anderen schädigen könnte. Darum geht’s. Eine Art Sozialstaatsdefinition ist das auch. 17. Jahrhundert. Dreißigjähriger Krieg. Spinoza.
Friedensberichterstatter jedenfalls einzig würde er nur mehr werden wollen, nicht Kriegsberichterstatter, hat Fritz Orter oft gesagt. Als Krisenberichterstatter nämlich die bestehenden oder beginnenden Konflikte öffentlich analysieren und die Menschen in den sicheren Staaten da hier rechtzeitig dafür interessieren, was sowohl dort in den gefährdeten wie hier in den stabilen im Guten getan werden kann, damit es nicht zu den Eskalationen und Bestialitäten kommt ‒ das, nur das würde er wollen. Genau das! Für Orter (wenn ich zu viel Nonsens verbreite, wird er mir das da hier heute öffentlich ja eh sagen) war das Geistige stets eine Überlebensfrage, die Musik, die Gedichte, Mozart. Die Gedichte eben auch dafür gut, dass die Fassung und der Halt nicht verloren gehen und dass alles wesentlich wahrgenommen und gesagt werden kann und kurz und genau und schnell, geistesgegenwärtig eben. Beruflich und vor Ort und verantwortungsvoll inmitten der Realitäten. Zitat Orter: Die Zerstörung der Vernunft nicht zulassen, darum geht es. Ob’s geht, ist eine andere Frage. Gleichzeitig und ungleichzeitig geschehe alles, und alles wiederhole sich, an jeweils verschiedenen Orten oder sogar an denselben. Dennoch: Was im Journalismus, Zitat Orter, fehlt, ist, dass Entwicklungen, Fehlentwicklungen, vorzeitig und rechtzeitig benannt und berichtet werden, was ja durchaus möglich wäre. Es ist ja zu durchschauen und man kann es kapieren. Der Kriegsjournalismus müsse präventiv und prophylaktisch sein und werden, Friedensarbeit eben. Seine Weise der Berichterstattung habe er immer als Menschenberichterstattung verstanden. So Hilfe zu ermöglichen mitversucht. Eine Dokumentation vom Sinn wollte Orter auch einmal herstellen, handelnd davon, wie die Schicksale waren und sind. Was aus den Menschen wurde. Zum Beispiel der Mann, der im Haus zu verbrennen drohte. Weil das Kamerateam, Orters Kamerateam, filmte, wurde dieser Mann von den örtlichen Einsatzkräften gerettet, sonst hätte man ihn verbrennen lassen. Oder zum Beispiel ein Kind mit weggefetzten Beinen, der Vater hat es in den Armen gehalten; infolge der Anwesenheit des Kamerateams und infolge des Nachrichtenberichts wurde der Bub ausgeflogen und behandelt und lebt. Und auch hat gerade die Ortersche Berichterstattung aus Rumänien während der Revolution, vor allem aus Temeswar, dazu beigetragen, dass damals die österreichische Rumänienhilfe möglich und hilfreich war und blieb. Was in Afghanistan geschehen wird, wenn die Amerikaner abziehen, hat er Jahre vor jetzt benannt; wie die einen wegkönnen, die anderen nie und nimmer. Und das permanente und irgendwie korrupte Nachgeben des Westens Putin gegenüber hat Orter tatsächlich stets als unerträglich schweren Fehler erachtet. Die Ukraine z. B. 2015, den eingefrorenen Krieg, hat er mit Verlaub auch ziemlich erklärt. Zitat Orter, Auswege-Gespräch anno 2015: In der Ukraine geht es […] um die Flottenverbände auf der Krim. Das ist der einzige eisfreie Zugang. [Obwohl die Russen die Krim ohnehin schon okkupiert haben, ist deshalb kein Friede], weil sie einen Korridor brauchen, und der geht durch die Ukraine. Die Truppen auf der Krim müssen ja versorgt werden. Das geht nicht andauernd per Flugzeug. Und der NATO-Westen will natürlich amerikanische Politik umsetzen. Die Amerikaner wollen die einzige Weltmacht bleiben. Sie ziehen 40 % ihres Militärpotentials wegen China im Pazifik zusammen, den Rest vor dem russischen Korridor. Und im Kosovokrieg ist es ebenfalls in höchstem Maße um die militärischen Interessen gegangen. Zitat Orter: Kosovo ist die größte NATO-Basis in Südosteuropa. Die Einflussmacht der Russen soll verringert und verhindert werden. Das Aufeinanderprallen der Russen und der USA war da durchaus gefährlich. Damals sind dort völlig unerwartet russische Truppen gelandet … Der damalige Kommandant der NATO hat gesagt, wegen der paar russischen Soldaten riskiere ich keinen Krieg. Vor einem Dritten Weltkrieg hat Orter, glaube ich, immer irgendwie Angst. (Hugo Portisch hatte die bekanntlich auch.) Einmal auch hat die Tochter des Arztes, der nach dem Attentat von Sarajevo auf den österreichischen Thronfolger diesen zu beschauen hatte, Orter den Dritten Weltkrieg prophezeit. Der Krieg verändere die Menschen völlig, und das mache ihm, Orter, Angst. Seine Arten von Befürchtungen und Sorgen hat er, kommt mir vor, stets offen und mutig benannt, hat auch gesagt, ohne Angst sei man in Gefahr, wirklich umzukommen. Und wie das ist, wenn mitleidlos schreckliches menschliches Leid im Fernsehen nicht gezeigt werden darf, um ja das Publikum nicht zu schockieren oder der Politik wegen; und dass reklamepsychologisch andererseits die Not und Furcht das Publikum verwirrt und hilflos und dadurch gierig macht nach den Werbeblöcken und dem Geld und dem Kaufen, weil ja Konsumieren die Aufregung stillt, hat er in etwa auch gesagt.
Warum gibt es in der Schule kein Unterrichtsfach, das Helfen heißt, und warum im Fernsehen kein Friedensprogramm? In der Schule ein Lernfach, das Helfen heißt, und im Fernsehen ein paar Stunden pro Woche ein Friedensprogramm! Auf jedem Sender die Analysen, was man wo tun kann, und in jeder Schule Helfen als Pflichtfach für da hier. Und endlich ein rechtzeitiges, präventives Sozialstaatsvolksbegehren zur Sicherung der Grundversorgungen, eine präventive Sozialstaatsbewegung zur Versorgungssicherheit, darum ist es gegangen, seit Jahren, Jahrzehnten. Ums rechtzeitige österreichische Sozialstaatsvolksbegehren wie gesagt und ums Helfen als rechtzeitiges Schulpflichtfach und um ein rechtzeitiges permanentes Friedensformat im ORF. So viel wäre erspart geblieben! So viel! Alles wäre einfach gewesen. Ganz einfach war’s. Ist’s immer noch, kommt mir vor. Zum ersten Mal wurden die Ideen fürs Helfen als Schulpflichtfach und für ein fixes wöchentliches Friedensformat im öffentlichen Fernsehen und für ein Wiederholen des österreichischen Sozialstaatsvolksbegehrens als Sicherung der Grundversorgungen so spätestens 2015 unter die Leute gebracht. Und zwar in Graz, im Bezirk Gries, in der Pfarre St. Andrä, im St.-Andrä-Saal, beim Herrn Pfarrer Glettler. Die Veranstaltung hieß Vom Helfen und vom Wohlergehen oder Wie die Politik neu und besser erfunden werden kann. Um die Auswege ging es und der Saal war voll bis hinaus in den Garten und das Publikum die Nachtstunden lang angetan und guter Dinge. Genützt hat das Ganze à la longue nix. Damals waren auf dem Podium Werner Vogt, Markus Marterbauer, Fritz Orter und moderierend die Arbeits- und Arbeitslosigkeitssoziologin Johanna Muckenhuber von der Denkwerkstatt Graz, und ich war auch mit von der Partie. Z. B. Vogt fehlt heute, aber dafür ist Thurnher da. Der ist auch gut für die Nerven. Meine z. B. Der ist mit seiner Zeitung irgendwie eine Welt in der Welt. Eine Welt in der Welt sein. Bei Pierre Bourdieu, wer immer das war außer der zu Lebzeiten angeblich meistzitierte Menschen- und Wirklichkeitswissenschaftler der Welt, steht das auch, so irgendwie halt. Eine Welt in der Welt sein. Elke Edlinger, die heute Abend moderieren wird, war damals 2015 in St. Andrä im Publikum dabei. Ich würde mich freuen, wenn sie, ich bitte Dich darum, heute auch von „Mehr für Care“ erzählen tät’ und von den Menschen, die sich für „Mehr für Care“ einsetzen. Und vielleicht hält sie es heute Abend ja auch für richtig, zu erzählen, wie es ihres Wahrnehmens Ukrainerinnen da hier jetzt in der Österreich-Welt geht. Sie und ihr Ehemann gehören jedenfalls zu den Österreicherinnen und Österreichern, die sofort einen Fluchtmenschen aus der Ukraine aufgenommen haben. Der Grazer Pfarrer Glettler von St. Andrä ist bekanntlich jetzt Bischof von Innsbruck. Und als solcher hat er die Podiumsmitwirkenden von 2015 respektive von heute da hier jetzt nach Innsbruck zu einer Tagung eingeladen. Die fand statt vor einem Monat, dauerte fast 8 Stunden bis spät in die Nacht. Heute da hier jetzt geht’s irgendwie weiter, aber keine 8 Stunden, bloß die 2 Stunden, die wir meines Empfindens in Innsbruck ruhig noch länger verweilen hätten können, ins Tratschen uns vertiefend. In der Innsbrucker Tagung ging’s darum, wie’s jetzt weitergehen wird mit Staat, Arbeit, Wirtschaft und Seele.
Ich erzähl’ hiermit selektiv weiter, woran ich mich selektiv erinnere. Thurnher sagte unter anderem, es sei, als ob man ohne soziale Medien als Mensch gar nicht mehr existiere. Das Wichtigste, was jetzt dagegen getan werden könne, sei: wirklicher Medienunterricht in den Schulen und der Bevölkerung weit deutlicher bewusst machen, was bereits geschehen ist und gerade eben weiterpassiert. Nämlich dass ausgerechnet die gigantischsten sozialen Medien in jeglicher Hinsicht Sonderstatus haben, de facto steuerbefreit sind und staatsrechtlich, wirtschaftsrechtlich, unternehmensrechtlich, wettbewerbsrechtlich hoch privilegierte, nahezu völlig unkontrollierte, unreglementierte Machträume bilden, gegen die Persönlichkeits- und Bürgerrechte einzuklagen die wenigsten Leute das Geld und die Lebenszeit haben. Das Gesamtgeschehen sei neoliberal. Technikeuphorie und Digitalisierung seien fundamentaler Bestandteil dieses Neoliberalismus. Und Verführen, Verachten und Zerstören Geschäftsprinzip, siehe Facebook, siehe Zuckerberg. Und was die Zeitungen betrifft, die geraten ohne faire staatliche Medienförderung unter immer stärkeren Finanzierungszwang durch Werbung. Mit allen sowohl Qualität und Niveau als auch die Objektivität und die Unabhängigkeit beeinträchtigenden Folgen. Möglichst viel Aufmerksamkeit erreichen zu müssen zwecks maximalen Verkaufs, mache auch Qualitätsmedien anfällig für Manipulation, Fakes und für falsche Geschichten erfindende Reporter. Und lebensgefährlich gar könne für Menschen dieses medial-ökonomische Hetzen nach Aufmerksamkeit werden, denn die realen Extreme werden, z. B. per Aufmerksamkeitsalgorithmus in den sozialen Medien, in der Realität noch extremer, bizarrer, aggressiver. Bis dann eben in Malaysien der Völkermord an den Moslems begangen wird. Oder in Washington das Kapitol gestürmt wird.
Markus Marterbauer hat für eine gut begründet hoffnungsvolle Wirtschaftspolitik geredet und gegen die herrschende Politik der allgegenwärtigen Angst und des Angstmachens. Mit einem der mutigsten Reichtumsforscher und umsichtigsten Kinder- respektive Jugendpsychotherapeuten zusammen hat er ein Buch geschrieben mit Herzensweite eröffnendem Horizont. Vorgestellt wird das Werk in Graz von beiden Autoren gemeinsam druckfrisch Anfang Oktober, ich weiß nicht, ob da hier im Literaturhaus oder in der AK, jedenfalls in Kooperation dieser zwei Einrichtungen. 80.000 Kinder in Österreich sind Opfer der Armut! Schlichtweg abschaffbar jedoch wäre die Gesamtarmut in Österreich, das Pflegeelend mit dazu, durch die sehr wohl moderate, die Wirtschaft nicht beschädigende, sondern ganz im Gegenteil fördernde Besteuerung von Millionärsvermögen. Davon also hat Markus Marterbauer in Innsbruck laut rechnend berichtet und wird dafür wie gesagt zusammen mit Martin Schürz im Frühherbst in Graz für wohl jegliche Auskunft zur Verfügung stehen. Heute Abend tut er das freundlicherweise auch schon.
Dass die Wahrheit das erste Opfer im Krieg ist, hat Fritz Orter in seinem Innsbrucker Vortrag nicht gelten lassen. Zitat Orter: Die Wahrheit ist das erste Opfer im Frieden. Die Lügen machen dann den Krieg möglich. Und von einem vor Kälte und Angst zitternden kleinen Mädchen im Bosnienkrieg 1992/93 hat er erzählt. Das Mädchen hat einen Vogel in einem Vogelkäfig mit sich getragen und geweint. Heute werde ich Fritz Orter vielleicht fragen, ob er weiß, was aus dem Mädchen geworden ist. Und ob er sein bislang letztes Buch Der Vogelhändler von Kabul auch deshalb geschrieben hat, weil Orter es eben nicht weiß. Und was aus dem Bischof von Banja Luka wurde, der zu Orter vor 30 Jahren zuerst Vergelt’s Gott sagte, als Orter für Nachbar in Not bei ihm war, und dann aber Orter sofort um Waffen bat. Wir brauchen Waffen. Was Fritz Orter dem Bischof von Banja Luka geantwortet hat damals und was Orter zurzeit zum Begriff Globale Gerechtigkeit einfällt, denn die war ursprünglich das von Orter für Innsbruck gewählte Thema gewesen, unmittelbar vor Kriegsbeginn, würde ich Orter heut Abend auch gern fragen. Orters hilfreicher Innsbrucker Vortrag trug dann jedenfalls den Titel Kain, wo … Das schwierige Projekt Frieden nach Kriegen.
Hermann Glettler redete in Innsbruck vor einem Monat vom Miteinander-die-momentane-Hilflosigkeit-Aushalten und dass es sehr wohl Lösungen und Auswege gibt, die sich auftun, egal ob dies im Moment erkannt wird oder nicht. Und vom Sich-nicht-lähmen-Lassen und vom Nicht-locker-Lassen. Und Lothar Müller, vormals Stadtpolitiker und Mandatar im Landtag, National- und Bundesrat und jetzt in der Pension einem Bündnis von 300 Hilfseinrichtungen und NGOs gegen Verarmung und Verelendung angehörend, sagte in etwa, die politische Ohnmacht sei nach wie vor nur eine scheinbare. Und der Armuts- und Globalisierungsforscher Andreas Exenberger, Wirtschafts- und Sozialhistoriker ist er auch, unter anderem, dass um Gottes willen niemand zurückgelassen werden dürfe, die Alltagsnot werde sich sonst unerträglich vervielfachen. Gerade auch für die Kinder und Jugendlichen. Die stellvertretende AMS-Leiterin Sabine Platzer-Werlberger, beruflich sozialisiert ‒ wie sie selber sagte ‒ in den 1980-er Jahren unter dem legendären Sozialminister Dallinger, der, wie Sie vielleicht wissen, sehr verehrte Damen und Herren, vorausschauend die 35-Stunden-Woche und eine Automatisierungssteuer installieren wollte zur Sicherung des Sozialstaates und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sympathisierte sowohl mit dem Volksbegehren zur Erhöhung des Arbeitslosengeldes als auch mit dem für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und die Caritasdirektorin Elisabeth Rathgeb will für die Ukraine von Ruanda lernen und von den Wahrheits- und Versöhnungskommissionen. Der Kardinal von Ruanda war ja fast zeitgleich zu unserer Veranstaltung in Innsbruck und man war eben sehr beeindruckt von den gelungenen Versuchen in Ruanda, von denen der Kardinal berichtet hatte. Die Innsbrucker Caritasdirektorin hat eine Friedensoffensive aller NGOs im Sinn, und zwar auch für den sozialen Frieden da hier in Österreich. Und das betagte Ehepaar Windischer, das in seinem Leben kleine und große Sozialprojekte noch und noch ins Leben gerufen hat, damit Menschen ein Leben haben können, hat gesagt, es habe hier wie sonst wo auf der Welt immer zuvorderst von denjenigen Menschen gelernt, die um ihr Leben kämpfen müssen. Und wenn die beiden in Konfliktgebieten kirchlich beauftragte Beobachter waren, haben sie aber vor Ort oft nicht viel sonst tun können, als den Hilfe suchenden Menschen zu versprechen, zuhause hier in Österreich zu erzählen, was sie wahrgenommen haben. Das haben die beiden Befreiungstheologiemenschen Vroni und Jussuf Windischer auch an besagtem Abend in Innsbruck getan. Jussufs theologisches Diplomarbeitsthema 1968 war gewesen: Make love not war und sein Dissertationsthema in der 1980-ern Gorbatschow. Und erzählt haben die Windischers an besagtem Abend in Innsbruck von Roma und von Palästinensern. Warum wohl.

Egon Christian Leitner, Juni 2022