„Ein ‚legendäres‘ Fußballspiel – eine Spurensuche“

veröffentlicht am 1. April 2021 in Objekt des Monats

Zwei Fotos aus dem vor kurzem erworbenen Fotobestand „Alfred Kolleritsch“ am Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung an der Universität Graz.
Signatur: FNI-KOLLERITSCH-Sammlung Familie
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Im Jänner 2021 wurde durch den Ankauf von Foto-Materialien aus dem Privatarchiv Alfred Kolleritschs durch das Literaturhaus Graz der Archivbestand des Franz-Nabl-Instituts erweitert. (1) Die Sammlung beginnt mit Fotografien aus den frühen 60er Jahren und reicht bis in die 2000er Jahre, wobei die ersten drei Jahrzehnten am stärksten vertreten sind.

Alfred Kolleritsch war jemand, der sein ganzes Leben dem geschriebenen Wort gewidmet hat. Das Schreiben stand im Mittelpunkt, die Fotografien haben sich über Jahrzehnte eher beiläufig angesammelt. Heute, wo der Bestand zugänglich ist, zeigt sich, welchen Wert die Fotos haben. Sie sind nicht bloß Ergänzung oder Illustration zum Geschriebenen, sondern bilden einen eigenen Quellenkorpus, der bei genauer Betrachtung interessante Dinge zum Vorschein bringt. So erfährt man zum Beispiel, warum ein fußballspielender Minister Eingang in eine manuskripte-Nummer fand. Die Fotos zeigen nicht nur vergangene Wirklichkeiten, sondern können auch dazu dienen, Erinnerungen zu stimulieren und Zeitgenossen zum Erzählen zu bewegen…

Als eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens war die Grenze zwischen Privat- und Arbeitsleben bei Alfred Kolleritsch fließend, wie auch die Grenzen zwischen seinen Arbeitsbereichen – als Autor, als Herausgeber, als Präsident des Forum Stadtpark, als Lehrer. Er war als Persönlichkeit einer, der das Verbindende suchte und damit den Fortbestand der manuskripte über 60 Jahre lang sicherte. (2) Die Fotografien, die sich nun im Teilnachlass befinden, zeugen eindrucksvoll von den mannigfaltigen Kontakten mit Autorinnen und Autoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, die auch in den manuskripten publizierten.
So ist etwa Alfred Kolleritsch mit Jandl und Mayröcker, Jelinek, Frischmuth, Handke, Roth, Hoffer, den Schweizer Autoren-Freunden Laederach und Widmer und vielen anderen zu sehen: bei Lesungen, im Forum Stadtpark, bei Ausflügen oder auf diversen Reisen zu Buchmessen oder Lesereisen, in die USA etwa, mit Roth, Bauer oder Handke, oder auch Reisen, die mit dem Petrarca-Preis in Zusammenhang stehen, etwa mit Burda, Hamm, Handke, Krüger u.a.
In seiner Funktion als Herausgeber war Alfred Kolleritsch Förderer und Geförderter zugleich. Insofern galt das Verbindende auch der Politik bzw. den jeweiligen Kulturpolitikern, von deren Subventionen die Zeitschrift ja maßgeblich abhängig war. Nach Konflikten der Anfangszeit entspannte sich das Verhältnis, war den manuskripten das Wohlwollen der Politik und die Finanzierung mehr oder weniger gesichert. (3)
„Ich habe jenen Spagat bewältigen müssen, den alle kulturellen Institutionen in Graz bewältigen haben müssen. Jeder, der subventionsabhängig ist, muss mit den Zuständigen verhandeln. Es ist ja öffentliches Geld und kein Parteiengeld. Ich habe aber nie aus Feigheit den Mund gehalten.“ (4), äußerte er sich in einem Interview dazu.
Natürlich gibt es Fotografien, die Alfred Kolleritsch bei offiziellen Anlässen wie Eröffnungsreden oder Ehrungen zeigen, das war seiner Funktion als langjähriger Präsident des Forum Stadtpark und als Herausgeber der manuskripte geschuldet, etwa mit Bruno Kreisky, Hannes Androsch, Hertha Firnberg, Josef Krainer I und Josef Krainer II, Hanns Koren u.a.
Aber es gab eben auch Kontakte abseits der politischen Bühne. Es sind ein paar wenige Fotos, die aus der sonstigen Sammlung herausstechen: Sie weisen auf ein (damals) einmaliges Ereignis hin, das als solches legendär war, worüber aber andererseits trotz der Einmaligkeit auf Anhieb wenig Information zu finden ist: ein Minister in einer ungewohnten Rolle und eine Autoren-Mannschaft am Feld versammelt. (Mittlerweile gibt es ja sogar eine Autoren-Nationalmannschaft.)
Das eine Foto zeigt Fred Sinowatz, den damaligen Unterrichtsminister (von 1973 bis 1983) und späteren Bundeskanzler (1983-86) am Spielfeld im Fußball-Dress, neben ihm ist Gerhard Roth in Aktion erkennbar. Das zweite Foto zeigt die Fußballmannschaft, die sich aus Spielern des Forum Stadtpark zusammensetzt. Die Fotos sind datiert mit 1975 und scheinen in der ersten Jubiläumsnummer der manuskripte, dem Heft 50 auf. (5) Da finden sich im Mittelteil vier Seiten mit Fotos von dem legendären Fußballspiel in Wundschuh sowie von einer Fahrt im Bus und einem geselligen und heiter wirkenden Zusammensitzen in einer Buschenschank zu einer Foto-Collage montiert. Die Bildunterschrift lautet „Fußballspiel Forum Stadtpark mit Minister Sinowatz gegen Wundschuh“ sowie „In der Südsteiermark (Autoren und Maler)“. Ein Teil der Collage wurde auch als Titelbild für Heft 50 verwendet und ist mit „Unthink Fotografie: Peter Pakesch und Irmfried Windbichler“ signiert. Interessanterweise fanden sich sonst keine Angaben zu diesem Ereignis, weder in den manuskripten selbst noch in der Sekundärliteratur, in der die Aktivitäten des Literaturreferats bzw. des Forum Stadtpark chronologisch erfasst sind (6) und wiewohl ein Foto von der Forum-Mannschaft (aus dieser Serie) das Titelbild des von Melzer und Bartsch herausgegeben Bandes Transgarde ziert, gibt es hier keine näheren Angaben dazu. (7)
Auf der Foto-Collage sind einige Spieler zu erkennen, wie erwähnt Gerhard Roth, auch Alfred Kolleritsch, Reinhard P. Gruber oder Franz Buchrieser, auch der Maler Hartmut Urban oder der Architekt Eilfried Huth.
Aber wie es dazu kam, dass die Forum Stadtpark-Gruppe mit Verstärkung des Unterrichtsministers Sinowatz in Wundschuh Fußball spielte, was der Anlass war, wann konkret es stattfand und wer dabei war, war zunächst nicht eruierbar, auch nicht, ob die Fotos von der Buschenschank in direktem Zusammenhang mit dem Fußballspiel standen. (8)

So schemenhaft wie die Fotos der Foto-Collage scheint auch die konkrete Erinnerung an dieses singuläre Ereignis zu sein, das dennoch als „legendär“ galt und zur Mythenbildung beitrug. Deshalb versuchte ich bei drei Akteuren, die damals dabei waren, mehr herauszufinden: Reinhard P. Gruber, von dem auch in seinem Vorlass am Franz-Nabl-Institut ein Foto von ihm mit Fred Sinowatz vorliegt, erinnert sich vage an dieses Ereignis, er antwortet in einem Email auf meine Anfrage: „an zeitpunkt und anlaß kann ich mich nicht mehr erinnern, aber ich weiß noch, daß emil breisach im tor war, wolfi bauer dabei war und auch bernhard hüttenegger. der ort wundschuh kam zustande, dort wohnte, die wir öfter besuchten, die autorin rose nager, auch lesungen in wundschuh gab es. organisiert wurde das fußballspiel, glaube ich, von herrn pusch, dem sekretär von sinowatz, den ich kannte. mehr weiß ich nicht mehr.“
Genaueres blieb auch bei Franz Buchrieser nicht im Gedächtnis hängen: „also mehr über den Kick, als Du mir mitgeteilt hast, weiß Ich auch nicht, außer vielleicht, dass Wolferl Bauer mitgespielt hat und dass es eine kurze Filmsequenz in schwarz weiß davon gibt.“
Peter Pakesch, der ja damals das Ereignis dokumentierte, konnte sich doch noch ziemlich gut daran und sogar an einzelne Spieler erinnern. Auch konnte er einen Zusammenhang zwischen der Buschenschank-Runde und dem Fußballspiel herstellen:„Es handelte sich um zwei Events. Es kann sein, dass es zuerst das Fußballspiel gab, und dass es dann weiterging zur Buschenschank Kolleritsch in Tieschen.
Beim Fußball waren neben dem Minister Sinowatz Gruber, Buchrieser, Urban, Kolleritsch, auch Manfred Mixner, Alfred Paul Schmidt, Gerhard Roth, Jonke?, Harald Sommer?, Wolfgang Bauer, Eilfried Huth, Herbert Nichols, Bernhard Hüttenegger dabei.
In der Buschenschank dabei waren:
Krista Fleischmann, Alfred Kolleritsch, Elfriede Jelinek, Wolfgang Bauer, Urs Widmer, RP Gruber, Harald Sommer (?), Alfred Paul Schmidt, Lugus, Bernhard Hüttenegger, Gerhard Roth, Herbert Nichols, Buchrieser, Klaus Hoffer, Günther Waldorf, Rudolf Pointner, (Handke und HC Artmann wurden hineinkopiert, da notwendig).

Und auch Alfred Kolleritsch erwähnt den „Kick“ noch 30 Jahre später in einem Interview, angesprochen auf das Verhältnis zur Politik: „Ich habe das beste Einvernehmen mit dem Sinowatz gehabt, der ist nach Graz gekommen, um Fußball zu spielen, der Kreisky ist ins Forum Stadtpark gekommen. Ich habe eigentlich von den Wiener Roten die meiste Zuwendung bekommen.“ (9)

Aufklärung bringt schließlich ein Artikel in der Gemeindezeitung von Wundschuh aus dem Jahr 1997. In der Rubrik „Anno dazumal“. Da ist als Bildunterschrift nicht nur die gesamte Forum Stadtpark-Aufstellung nachzulesen, sondern auch die finanzielle Zuwendung, die daraus resultierte:
Dieses Foto mit (v. l. n. r.) Franz Brumen, Altbürgermeister Vinzenz Kainz, Unterrichtsminister Fred Sinowatz und unserem früheren Kirchenwirt Friedrich Praßl-Fortmüller entstand im Juni 1975 am Rande eines legendären Fußballspiels. Die Elf des Forum Stadtpark mit den Literaten und Malern Bauer, Breisach, Buchrieser, Gruber, Huth, Hüttenegger, Kolleritsch, Mixner, Nichols, Roth, Schmidt, Urban und Waldorf sowie Minister Sinowatz kickte unter der Spielleitung von Johann Rupp gegen die Wundschuher Mannschaft, die sich knapp mit 6:5 Toren durchzusetzen wußte. Was die einheimischen Fußballer besonders freute, war nicht nur die Ländermatch-Atmosphäre im Wundschuher Waldstadion, sondern auch die ausführliche TV-Berichterstattung und die 5000-Schilling-Vereinsspende des späteren Bundeskanzlers. (10)

Die Foto-Sammlung „Alfred Kolleritsch“ stellt jedenfalls einen reichen Fundus dar, der als Ergänzung zu den anderen Archivalien fast 60 Jahre literarischen Lebens abdeckt und großes Potential auch für eine eingehende visuelle Analyse bietet, die neben der Fülle an Texten durchaus erhellend zu neuen Interpretationen hinführen kann. Die Sammlung ist deshalb so reich und einzigartig, weil sie das Leben von jemandem widerspiegelt, der auf so vielen Bühnen wirkte und ohne dessen Person diese sechs Jahrzehnte Literatur in Graz nicht in der Form stattgefunden hätten. Alfred Kolleritsch war als Persönlichkeit und in seinem Wirken für die Literatur einmalig und das spiegelt auch dieses Foto-Archiv wider.

Agnes Altziebler

(1) Die Foto-Sammlung ergänzt damit den Teil-Nachlass „Alfred Kolleritsch“, der im Franz-Nabl-Institut vorliegt: Original-Typoskripte, Zeitungsausschnitte und Artikel von und über Alfred Kolleritsch, die anlässlich der Institutsgründung 1989 erworben wurden, sowie 175 Notizbücher und Schreibhefte, die das Literaturhaus 2020 erwarb. Mittlerweile ist der Archiv-Bestand der Zeitschrift manuskripte vom Wissenschaftsressort des Landes Steiermark angekauft worden. Die Archivalien der vergangenen 60 Jahre wurden von der Steiermärkischen Landesbibliothek übernommen und werden nach der Erschließung dem Franz-Nabl-Institut zur weiteren wissenschaftlichen Bearbeitung des umfänglichen Materials als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt.
(2) Eine genaue Darstellung zur Person Alfred Kolleritsch findet sich u.a. bei: Harald Miesbacher: Alfred Kolleritsch und das Forum Stadtpark. In: manuskripte (2020), H. 229, S. 173–183.
(3) Dies war vor allem der internationalen Anerkennung und dem Zuspruch von außen geschuldet, die der Zeitschrift zuteilwurden.
Über politische Subventionsgeber siehe auch: Manfred Mixner: Ausbruch aus der Provinz. Zur Entstehung des Grazer „Forum Stadtpark“ und der Zeitschrift „manuskripte“. In: Wie die Grazer auszogen, die Literatur zu erobern. Texte, Porträts, Analysen und Dokumente junger österreichischer Autoren. Hg. v. Peter Laemmle und Jörg Drews. München: edition text + kritik 1975, S. 13–26.
(4) Interview in FALTER 7/2006 vom 17.02.2006 (S. 4), anlässlich des Erscheinens des neuen Lyrikbandes Tröstliche Parallelen (Droschl 2006).
Vgl. auch zur Kulturpolitik: Alfred Kolleritsch: Marginalie. In: manuskripte 14 (1975), H. 50.
(5) Vgl. manuskripte (1975), H. 50. Dann wieder in Heft 229 von 2020, das Alfred Kolleritsch gewidmet ist.
(6) Vgl. Christine Rigler: Generationen. Literatur im Forum Stadtpark 1960 – 1995. Graz/Wien: Droschl 1995.
(7) Trans-Garde. Die Literatur der „Grazer Gruppe“, Forum Stadtpark und manuskripte. Hg. v. Kurt Bartsch und Gerhard Melzer. Graz: Droschl 1990.
(8) Dort sind jedenfalls ebenfalls die „Stammliteraten“ der damaligen Zeit („Grazer Gruppe“) erkennbar. Zu erkennen sind auf dem Foto Autoren wie Bauer, Kolleritsch, Widmer, Handke, Gruber, Eisendle, Jelinek, Roth, u.a.
(9) Siehe FN 4.
(10) P.b.b. – Erscheinungsort Wundschuh – An einen Haushalt – Verlagspostamt 8142 Wundschuh, 12. Jahrgang, Nr. 1, März 1997.