Einsam am Zirbitzkogel. Reinhard P. Grubers Hödlmoser-Roman als prominent besetztes „schönes hörspiel“

veröffentlicht am 1. Januar 2023 in Objekt des Monats

Reinhard P. Gruber, Ernst Wünsch, Josef Dirnbeck: aus dem leben hödlmosers oder dergleichen. ein schönes hörspiel mit reinhard peter gruber, ernst wünsch, dem lercherl, peter alexander und nicht ohne josef dirnbeck. Typoskript, undat. [dat.: „produktion: 23. april 1972“], 6 Bl. (pag. 2–6), aus dem Vorlass von Reinhard P. Gruber am Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung. Signatur: FNI-GRUBER-1.1.1.2.

Kumpitz, der Heimatort von Reinhard P. Gruber und seiner legendären Hödlmoser-Figur, liegt in den Untiefen der Weststeiermark, im westlichsten Winkel der 8.000-Seelen-Gemeinde Fohnsdorf. Etwa 45 Minuten entfernt erhebt sich Hödlmosers ‚Hausberg‘, der Zirbitzkogel. Dass der große Schlagersänger Peter Alexander diesen Berg einmal besucht hätte, ist nicht belegt. Nichts spricht daher für die Annahme, er hätte dort jemals sein berühmtes Elvis-Cover Bist du einsam heut Nacht geträllert. Oder etwa doch?

Gegenteiliges erzählt ein undatiertes Typoskript aus dem Vorlass des steirischen Schriftstellers Reinhard P. Gruber, der 2022 seinen 75. Geburtstag beging[1] und dessen bis heute berühmtestes Werk Aus dem Leben Hödlmosers 2023 sein fünfzigjähriges Bestehen feiert. Ein Dreivierteljahrhundert Gruber und ein halbes Jahrhundert Hödlmoser sind Grund genug, dem „steirischen Roman mit Regie“ wieder einmal in all seinen Facetten auf den Zahn zu fühlen.[2] Zu diesen Facetten gehören freilich die ambivalente Figur des Hödlmoser, die Suche nach dem „Ideologem der Steiermark (und des Steirischen)“[3] und die sprachkritisch-satirische Persiflage verschiedener Jargons in den „regieanweisungen“. Mit einem Blick in den Gruber’schen Vorlass dürfen aber auch die heute weitgehend unbekannten, aber doch zahlreichen Produktionen nicht vergessen werden, die den Hödlmoser-Stoff fragmentarisch antizipierten oder späterhin intertextuell (und zumeist auch intermedial) verarbeiteten.

Einer dieser Vorläufertexte ist das „schöne hörspiel“ aus dem leben hödlmosers oder dergleichen, das Reinhard P. Gruber, vermutlich im Frühjahr 1972 in Wien, gemeinsam mit Ernst Wünsch und Josef Dirnbeck zu Papier brachte. Der 24-jährige Gruber hatte ein Jahr zuvor mit seinem Debüt, dem „Essay“ Alles über Windmühlen, ein sprachparodistisches Pseudotraktat vorgelegt; der fünf Jahre jüngere Wünsch stand gerade kurz davor, gemeinsam mit Rupert Kisser das „Kisserwünsche aktionistische Kasperltheater“[4] ins Leben zu rufen; und Dirnbeck – etwa gleich alt wie Gruber – stand mit seinem im selben Jahr erschienenen Text Der Prügelknabe ebenfalls am Beginn seiner (später häufig meditativen) Schriftstellertätigkeit.

Das „schöne hörspiel“, das seit seiner Entstehung bei einer der gemeinsamen „literarischen Jam-Sessions“[5] kein einziges Mal zur Aufnahme oder gar Ausstrahlung gebracht worden ist, setzt nach dem gejodelten Eingangsjingle „holladrio holladrio holladrio“ die „steirische bergsteigergeschichte“ spielerisch in Szene: Hödlmoser wandert auf den weststeirischen Zirbitzkogel und damit auf jenen Berg, wo später auch das Originalmanuskript des Romans vergraben werden sollte.[6] Er begrüßt die Gämsen „mit handschlag“ und unterhält sich angeregt mit ihnen – ganz wie es sich für einen ‚Ursteirer‘ seines Formats gehört. Sprecher 2 kann es schon zu Beginn nicht lassen, die Romanrezitation des ersteren mit dem titelgebenden Nachsatz „oder dergleichen“ zu unterbrechen.

sprecher 1:                     aus dem leben hödlmosers

sprecher 2:                     oder dergleichen

sprecher 1:                     heute besteigt hödlmoser den steirischen berg zirbitzkogel

sprecher 2:                     oder dergleichen

sprecher 1:                     dann ist der große rucksack schon auf dem rücken hödlmosers, der mit ihm die
zweitausendmetergrenze überwindet

sprecher 2:                     es gibt kein frischwasser hier oder dergleichen

 

Es dauert nicht lange, da hat sich dieser Sprecher auch schon deklariert: „mein name ist ernst wünsch“, woraufhin ihm der erste prompt antwortet: „ich heiße reinhard peter gruber“. Sprecher 2 bleibt stumm, als Sprecher 1 von Hödlmosers bibliophilem Geständnis berichtet, das natürlich erst bei Polentasterz und nach einer herzlichen Verbrüderung mit den Gämsen erfolgen kann: „Ich lese aus dem steirischen Roman ‚Aus dem Leben Hödlmosers‘.“ – Metafiktion auf gut Steirisch.

Sprecher 2 bleibt in seiner Vorliebe für die Unterbrechung konsequent. Nicht nur, dass er wenig später gar aus einer Gams spricht, um sich als Jungspund zu deklarieren – „Ich bin zwanzig Jahre alt“ –, er leiht seine Stimme auch einem Senner, der Hödlmoser statt eines Jodlers von Weitem zuruft: „die berufe in der unterwelt sind die offen zur schau getragenen geschwüre“. Eine Antwort des Hödlmoser ist obsolet, denn dank der profunden Lektürekenntnisse des Senners dürfte ein Verweis auf das literarische alter ego völlig ausreichen:

sprecher 1:                     neugierig ruft hödlmoser zurück: „Die steirische Bergsteigergeschichte“, worauf der
zirbitzsenner tatsächlich

sprecher 2:                     „Der verheerende Alkoholismus!“

sprecher 1:                     antwortet […]

 

Als sich durch ein Missverständnis ein Streit zwischen den Gesprächspartnern entspinnt, droht Hödlmoser dem Senner laut brüllend: „Und es gibt hier keinen Arzt, kein Lazarett oder dergleichen“. Damit ist Stille am Zirbitzkogel, selbst die mächtigen Berge hüllen sich in Schweigen. Diese Ungnade beim Senner kann der stammelnde Hödlmoser mit den versöhnlichen Worten „Die in der Unterwelt angewendeten Heilmethoden bewirken stets das Gegenteil einer Heilung“ gerade noch beheben, denen der Senner beipflichtet: „Sie verschlimmern“. Da bleibt es dem Kumpitzer Bergfex nur noch, ein letztes Mal auf den „verheerende[n] Alkoholismus“ zu verweisen, bevor er endgültig die Kogelspitze erklimmen und – begleitend von einem neuerlichen Jodler aus dem Off – die Aussicht über das steirische Hügelland bewundern kann. Ob es dieser atemraubende Ausblick ist, der den Hödlmoser nun zu Boden sinken lässt, oder „die offene tuberkulose, die diversen geschlechtskrankheiten“, steht dahin.

Cut: zweiter Hörspielabschnitt. In diesem Moment der höchsten Bewunderung, der Apotheose steirischer Landschaft, kann nur der „lobpreis des schöpfers der herrlichkeit“ helfen: Peter Alexanders Erfolgssong Bist du einsam heut Nacht. Das legendäre Elvis-Cover vermengt sich im nun einsetzenden grotesk-komischen Reigen mit Versatzstücken aus dem Dialog zuvor, mit Jodelrufen („jo i jo i joiti“), Anspielungen auf die Biographien der Autoren („mitglied von ‚frischfleisch‘“[7]) und späteren Romanpassagen – so aus dem „steirischen umgangsgespräch“, den bemerkungen „zu kumpitz und umgebung“ und dem „steirischen lebenslauf“:

 

PETER ALEXANDER:   (spricht)

ich weiß nicht, ob du einsam bist
heute nacht
irgendjemand hat einmal gesagt

sprecher 2:                     „Mein Name ist Ernst Wünsch“, ich bin zwanzig Jahre alt“ [sic!].

PETER ALEXANDER:   (spricht)
damals
bis ich dir eines tages nicht mehr glaubte und fortging

sprecher 1:                     holt di pappn du weststeirischi oaschsau

PETER ALEXANDER:   (spricht)
doch dann sahn wir uns wieder irgendwo

sprecher 1:                     zwei wirtshäuser sind in kumpitz

[…]

Dass Gruber, Wünsch und Dirnbeck mit ihrem überaus unterhaltsamen Hörspielentwurf nie an die Öffentlichkeit gingen – bzw. bei keinem Sender landen konnten –, stimmt umso trauriger, wenn gegen Ende die Titelmelodie der ORF-Sendereihe Beispiele[8] ertönt, deren Motto „junge österreichische autoren schreiben für den orf“ nur noch eine Melodie der Kern Buam, das bezeichnende Stichwort „plage“ und die letzten Zeilen des Peter-Alexander-Gesangs folgen:

LERCHERL:                    i bin a steirerbua
und hob a kernnatur
m d ra dra rat m
am md adr amtrda tm

sprecher 2:                     plage

PETER ALEXANDER:   (singt)
sind die träume schon da
ist der schatten dir nah
der dich fragt
bist du einsam heut nacht

 

„Das Steirertum in all seiner durch Klassifikationsmodelle rubrizierten Vielfalt präsentiert sich als Einfalt, als sinnentleerte Phrase am Ende aller definitorischen Anstrengung.“[9] Dieses Fazit, das Gerhard Fuchs zu einem weiteren Objekt aus dem Hödlmoser-Komplex zieht, gilt in hohem Maße auch für diese (hör-)spielerische Anverwandlung einer Figur, die 1973 – also ein Jahr später – in die Buchhandlungen Einzug halten, erst für einen Skandal sorgen und wenig später als „der Hödlmoser“ Kultstatus erringen sollte. Dieser frühe Text bildet jedoch lediglich einen Bruchteil dessen, was Reinhard P. Grubers Vorlass am Franz-Nabl-Institut über Vorstufen und Fortschreibungen des Romans zu verraten hat. Das könnte ein Anreiz sein, an Grubers vergangenem und Hödlmosers kommendem Geburtstag wieder einmal zu diesem Kultbuch zu greifen und darüber nachzudenken, was von dieser Sezierung des Steirermenschen, von der Kakophonisierung selbstgefälliger Heimatliebe heute noch aktuell ist. Eines sei verraten: Es ist erstaunlich viel – gerade in Zeiten, da die wiedererstarkte Rechte und ein ebenfalls einschlägiger „Volks-Rock’n’Roll“ neuerlich fröhliche Urständ feiern.

Daniel Milkovits

[1]     Über Grubers Geburtstag berichtete auch der ORF Steiermark: Der „Heimatentheoretiker“: Reinhard P. Gruber ist 75. Erstellt am 20. Jänner 2022. URL: https://steiermark.orf.at/stories/3139435/ [13.12.2022].
[2]     Diesem Vorhaben nimmt sich die Masterarbeit des Verfassers an, die in diesem Jahr unter dem voraussichtlichen Haupttitel Kumpitz in progress abgeschlossen werden wird.
[3]     Helmut Hofbauer: Die Windmühle Steiermark. Sprachkritik als Ideologiekritik in Reinhard P. Grubers Roman Aus dem Leben Hödlmosers. In: Reinhard P. Gruber. Hrsg. v. Daniela Bartens u. Gerhard Fuchs. Graz, Wien: Droschl 2011. (= Dossier. 30.) S. 61.
[4]     Vgl. hierzu näher Maria Mangott: „Kisserwünsches aktionistisches Kasperltheater“. Ein Experiment in der österreichischen Literaturlandschaft. Wien, Univ., Dipl.-Arb. 2010.
[5]     Ernst Wünsch in einem Telefonat mit dem Verfasser am 21. November 2022.
[6]     Zu dieser Grablegungsaktion findet sich im Vorlass Reinhard P. Grubers ebenfalls zahlreiches Text- und Bildmaterial. Vgl. hierzu insbesondere das diesbezügliche „Objekt des Monats“ von Daniela Bartens: https://franz-nabl-institut.uni-graz.at/de/neuigkeiten/detail/article/objekt-des-monats-september-2015/ [13.12.2022].
[7]     Frischfleisch war eine Literaturzeitschrift, an deren Gründung 1971 Reinhard P. Gruber maßgeblich beteiligt war.
[8]     Offenbar handelte es sich hierbei einst um eine Sendung von Ö1: https://oe1.orf.at/beispiele [10.12.2022].
[9]     Gerhard Fuchs: Reinhard P. Gruber: NACHRUF auf Josef Krainer. Objekt des Monats, November 2020. URL: https://franz-nabl-institut.uni-graz.at/de/neuigkeiten/detail/article/objekt-des-monats-november-2020/ [13.12.2022].