Ich bin …? Zu den Jugendbüchern Hannelore Valencaks

veröffentlicht am 1. Februar 2019 in Objekt des Monats

Erstes Blatt des Jugendbuches Ich bin Barbara, Original, masch. mit hs. Korrekturen, 127 Bl., hier: Bl. 1, aus dem Nachlass von Hannelore Valencak am Franz-Nabl-Institut für Literaturfor­schung, Signatur: FNI-VALENCAK-W6-1.1.1.2.2, Bl. 1.

Hannelore Valencak verfasste nicht nur Erwachsenenliteratur, sondern auch zahlreiche preisgekrönte Kinder- und Jugendromane. Das Jugendbuch Ich bin Barbara, welches 1974 in dem für Kinder- und Jugendliteratur besonders aufgeschlossenen Ueberreuter-Verlag erschienen ist, konfrontiert die Rezi­pientInnen mit der Emanzipation der jungen Protagonistin Barbara von den Konventionen und Nor­men der weiblichen Geschlechterrolle. Es ist das erfolgreichste ihrer Mädchenbücher und wurde mit dem Jugendbuchpreis der Stadt Wien ausgezeichnet. Ganz in der österreichischen Tradition schreibt Hannelore Valencak wie etwa Elfriede Jelinek, H. C. Artmann oder Thomas Bernhard für Erwachsene und Kinder.

Die 17-jährige Barbara begleitet ihren Freund Andreas, einen Kunstgeschichtestudenten, auf eine Stu­dienreise nach Griechenland. Nach mehreren konfliktreichen Situationen und vielen Herabwürdi­gun­gen durch Andreas will Barbara die Heimreise nach Österreich alleine antreten und trifft dabei auf Alexander. In der Interaktion mit diesem kann Barbara neues Selbstbewusstsein gewinnen, schließlich entwickelt sich daraus eine Liebesbeziehung. Sie lässt sich jedoch nicht längerfristig auf Alexander ein und kehrt mit Andreas nach Hause zurück. Ob die beiden erneut eine Verbindung eingehen, bleibt aber unklar. Wie in vielen Romanen Valencaks handelt es sich auch in diesem Roman um eine weibliche Hauptprotagonistin, welche im Laufe der Handlung eine Entwicklung durchmacht. Barbara definiert ihr Selbst nicht mehr durch traditionelle und patriarchale Vorstellungen von Weiblichkeit, sondern durch ihre eigenen Maßstäbe. Sie wehrt sich gegen die Unterdrückung weiblicher Selbstbestimmung und Sexualität durch Andreas, welcher ein bürgerliches Bild von Weiblichkeit propagiert, in dem Frauen eine passive und untergeordnete Rolle einnehmen. Viele von Valencaks weiblichen Figuren stehen in Abhängigkeitsverhältnissen, ob nun wie in Ich bin Barbara zum männlichen Partner oder wie in dem Ju­gendbuch Meine schwererziehbare Tante zum Vater bzw. zu familiären Strukturen. Mädchen und junge Frauen brechen in ihren Jugendromanen aus diesen vorgegebenen Hierarchie­systemen aus und lösen sich vom aufgezwungen Objektstatus hin zu einem selbstständigen Subjekt.

Valencak repräsentiert mit ihrem Mädchenroman den um 1970 stattfindenden Paradigmenwechsel in der Kinder- und Jugendliteratur. Jugendromane skizzieren nun verstärkt Schwierigkeiten der Identi­tätsfindung, im Gegensatz zur Literatur der Nachkriegszeit, welche vornehmlich eine heile und idylli­sche Kinderwelt zeichnete. Auch Barbara steht in einem innerseelischen Konflikt und ist hin und her­gerissen zwischen ihren eigenen Wünschen und den von der Gesellschaft definierten Normen. Valen­cak selbst äußert sich 1991 autoreflexiv in ihrer Vita zu ihrer Belletristik für Kinder und Jugendliche, welche für sie eine Form der „Brückenliteratur für junge Menschen an der Schwelle zum Erwachsen­werden“ darstellt. Die Kinder- und Jugendliteratur um 1970 forciert die Darstellung von autonomen und gleichberechtigten Kinderfiguren. Jugendliche und Kinder erhalten Entscheidungsraum und Mit­bestimmungsrecht. Barbara wird von ihrer Mutter, welche am konservativen Geschlechterbild festhält und sie stark in ihrem Empfinden und Handeln dominiert, autoritär erzogen. Dennoch identifiziert sich Barbara nicht mit dieser vorbestimmten Rolle als Mutter bzw. Ehefrau, sie lehnt sich gegen ihre Mut­ter auf und lässt sich nach den Liebesbeziehungen zu Andreas und Alexander – worauf der offene Schluss des Romans hinweist – auf keine weitere Beziehung mehr ein. Ebenfalls beabsichtigt sie eine berufliche Karriere und möchte ein Biologiestudium in Angriff nehmen.

Valencak übernimmt die Schreibweise der Erwachsenenliteratur, nichtsdestotrotz erzählt sie in einer kindgerechten sowie simplifizierten, dem begrenzten Weltwissen und Sprachvermögen der Kinder bzw. Jugendlichen angepassten Erzählweise, wahrt dabei aber eine anspruchsvolle ästhetische Gestal­tung der Sprache in ihren Werken. Die literarische Qualität des Jugendbuches ergibt sich aus der Dar­stellung der kindlichen Gefühls- und Erlebniswelt. Diese drückt sich durch die emphatischen Schilde­rungen des Innenlebens, die schwankenden Stimmungen, Träume und Wünsche der weiblichen Prota­gonistin aus. Obwohl Hannelore Valencak der realistischen Erzähltradition zuzuordnen ist, lassen sich in ihren Kinder- und Jugendromanen indes phantastische Elemente finden. In Ich bin Barbara ist die Handlung zwar ausschließlich in einer primären realen Welt angesiedelt, weist aber Figuren bzw. Handlungen einer zweiten, fiktionalen Welt auf. Es handelt sich hier um ein ambiges Modell einer implizierten sekundären Welt. So kann der Protagonist Alexander etwa Gedanken lesen oder als her­abgestiegene Gottheit Hermes interpretiert werden, womit Valencak in bewährter Manier mythologi­sche Figuren und mystische Geschehnisse in die Erzählung integriert. Ferner wendet sie Formen des phantastischen Erzählens auch in anderen Kinder- und Jugendbüchern, wie in dem Jugendroman Re­genzauber, an. Hier glaubt das Mädchen Nanni, inspiriert durch eine Sage, an ihre Zauberkräfte und spricht daraufhin einen Regenzauber. Diese disparaten Elemente werden von der Autorin sinnvoll miteinander verknüpft und erzeugen eine Ambivalenz bei den Lesenden.

Die Autorin erregte mit ihren Kinder- und Jugendbüchern nicht nur in Österreich Aufsehen, sondern wurde auch international bekannt. Ich bin Barbara wurde 1976 bei William Morrow in New York unter dem Titel When Half-Gods go veröffentlicht. Regenzauber erschien ebenfalls in englischer Übersetzung mit dem Titel A Tangled Web im selben Verlag sowie in spanischer und katalanischer Übersetzung im Verlag SM ediciones in Madrid, wo über 100.000 Exemplare des Jugendbuchs ver­kauft wurden. Der axiologische Wert von Valencaks kinderliterarischem Œuvre zeigt sich nicht zuletzt in den vielen erhaltenen Auszeichnungen. Für ihr Kinderbuch Regenzauber erhielt sie den Österreichi­schen Kinderbuchpreis – neben Renate Welsch und Mira Lobe – sowie den Förderpreis der Stadt Wien, zudem kam sie auf die Ehrenliste des Hans-Christian-Andersen-Preises, welcher die wichtigste internationale Auszeichnung für Kinder- und JugendbuchautorInnen darstellt. Christa Murer rezen­sierte in der Zeitschrift „Jugend und Buch“ das Jugendbuch Ich bin Barbara und bezeichnete das Werk als „Mädchenroman neuen Stils“, welcher „hervorragend geschrieben (…) vom süßlichen ‚Mädchenbuchklischee‘ wegführt.“ (Jugend und Buch, 1975, 3, S. 40f.) Die durchwegs positive Re­zeption gibt gleichermaßen Aufschluss über Popularität und Originalität von Hannelore Valencaks Jugendbüchern und legitimiert daher die Einordnung ihrer Jugendbelletristik in den kinderliterarischen Kanon der siebziger Jahre.

Stefanie Schneebauer