Do., 24.04.2025

9:00 - 19:00 Uhr

Fiktion Heimat

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Veranstaltungsdatum: Do., 24.04.2025 // 9:00 - 19:00 Uhr

Kategorie: Vortrag und Gespräch

Reihe: Symposium

Identitäten, Körper, Umwelten in der österreichischen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts.

Der Begriff Heimat, lange Zeit verpönt, hat in den letzten Jahren wieder Konjunktur in Medien und Politik. Während in den 1970er Jahren vor allem der Begriff Anti-Heimat durch die sogenannte Anti-Heimatliteratur weit verbreitet war, scheint es heutzutage in verschiedenen politischen Spektren durchaus im Trend zu liegen, wieder auf Heimat zu setzen. Die Literatur folgt dem nur bedingt. Hier ist es nach wie vor eher opportun, das Konzept Heimat kritisch zu hinterfragen und an Traditionen der Anti-Heimatliteratur anzuschließen. So hat insbesondere die österreichische Literatur in den letzten Jahren viele Texte hervorgebracht, die Aspekte wie Identitätspolitik, Queerness und Umwelten von gesellschaftlichen Zusammenhängen bis zum Thema Anthropozän auf neue Weise verhandeln. Autor:innen wie Helena Adler, Raphaela Edelbauer, Julia Jost, Vea Kaiser und Reinhard Kaiser-Mühlecker haben dem Genre neue Facetten abgewonnen und damit die Debatte um den österreichischen Exportschlager Anti-Heimatliteratur neu befeuert.

Die Tagung des Franz-Nabl-Instituts für Literaturforschung der Universität Graz möchte das Neue dieser Texte beschreiben, eingedenk der langen Tradition des Genres in der österreichischen Literatur seit 1945. Dabei soll durch die Konzepte Identitäten, Körper und Umwelten auch ein neuer und innovativer Zugang zu ihnen eröffnet werden.

 

Fiktion Heimat. Identitäten, Körper, Umwelten in der österreichischen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts. Symposium des Franz-Nabl-Instituts für Literaturforschung der Universität Graz, 23.–25.4.2025, Literaturhaus Graz

Konzeption und Durchführung: Stefan Alker-Windbichler, Nicole Streitler-Kastberger
Organisation: Elisabeth Loibner (Literaturhaus Graz)

EINTRITT FREI!

 

9 Uhr
Begrüßung

Klaus Kastberger
Leiter Franz-Nabl-Institut / Literaturhaus Graz

 

Vorträge und Diskussion

Wolfgang Straub:
Der Wiedergänger. Zu den Konjunkturen des Begriffs Anti-Heimatliteratur

Was Hans Weigel 1974 in einer Besprechung von Franz Innerhofers Schöne Tage als „Anti-Heimatroman“ bezeichnet hat, ist 50 Jahre später ein begriffliches Exportgut und kann auch auf Texte, die in der Lüneburger Heide spielen, angewandt werden. In der Rezeption österreichischer Literatur ist der Begriff ohnehin eine fixe Größe. Es ist sogar von einem eigenen „Genre“ die Rede. Der Vortrag zeichnet die Konjunkturen eines Begriffs von dem mehrere Schreibweisen kursieren und der sich trotz geringer analytischer Kraft hartnäckig in Literaturkritik und Literaturgeschichtsschreibung behauptet.

 

Natalie Moser:
Verkörperungen von Heimat. Diverse Heimatgeschichten der 2020er Jahre

Der Vortrag widmet sich jüngster deutschsprachiger Gegenwartsliteratur insbesondere aus Deutschland und der Schweiz und zeichnet Traditionslinien und Bezüge zu klassischer (Anti-)Heimatliteratur österreichischer Prägung nach. Für quasi druckfrische heimataffine Texte bildet die für Heimatliteratur geradezu konstitutive Dichotomie ,eigen‘ versus ,fremd‘ weiterhin eine zentrale Grundlage. Mit Blick auf Texte von Giorgio Ferretti, Joshua Groß, Ariane Koch und Ralph Tharayil soll herausgearbeitet werden, wie diese Dichotomie mit Körper-, Grenz- und Gastsemantiken verbunden wird, konventionelle Erzählverfahren ausgehebelt und diverse Heimatgeschichten entworfen werden.

 

11 Uhr
Vorträge und Diskussion

Marc Weiland:
Konstitutive Heimatlosigkeit. Ein Topos literarisch-lebensweltlichen Erzählens?

„Exzentrisch gestellt steht er da, wo er steht, und zugleich nicht da, wo er steht“. Helmuth Plessners Philosophische Anthropologie versteht den Menschen als ein Wesen, das konstitutiv heimatlos ist; und dem es gerade auch deshalb aufgegeben ist, sich eine Heimat zu (er)finden. Angesichts der diversen Erschütterungen des 20. und 21. Jhs. wird diese Denkfigur immer wieder aufgerufen und literarisch in Szene gesetzt. Konstitutive Heimatlosigkeit erscheint als ein Topos modernen Erzählens. Den damit verbundenen Begründungsfiguren will der Vortrag anhand paradigmatischer Texte – quasi: von Kafka bis Kaiser-Mühlecker – nachgehen.

 

Raffael Hiden:
‚Heimat-Raum und Klassen-Raum‘. Zu einem Spezifikum österreichischer Gegenwartsliteratur

Gesellschaftstheorien der Gegenwart erneuern den soziologischen Grundbegriff der Klasse, der sich in entsprechenden ‚Polarisierungsdiagnosen‘ verdichtet und dort sowohl analytische als auch narrative Funktionen erfüllt. Gleichzeitig ist dieser Trend begleitet von liminalen Textformen (Sozioautobiografien), die literarisches Erzählen und soziologische Reflexion miteinander verklammern. Während die genreprägenden Stoffe allerdings als Vorlagen ihren Eingang in die deutsche Gegenwartsliteratur finden, zeigt sich eine elaborierte Adaption in der österreichischen Literatur: Heimat und Klasse stehen dabei in einem produktiven Spannungsverhältnis.

 

15 Uhr
Vorträge und Diskussion

Daniela Bartens:
Fleisch und Sprache. Groteske Inkarnationen und malträtierte Körper in Werner Schwabs Joe Mc Vie und Helena Adlers Romanen

„Ich lerne meine Muttersprache neu, sie besteht nun aus Bellen und Knurren“, formuliert Helena Adlers selbsternannte „Infantin“ und steckt damit ein Feld zwischen sprachlicher Deterritorialisierung des Sinns und Reterritorialisierung in polemischen Verkleinerungsstrategien einer „Tier-Werdung“, aber auch in herbeigeschriebenen (populär-)kulturellen Größenphantasien ab. Innerhalb einer zeitgenössischen Konjunktur quasi-realistischer (Anti-)Heimatromane wurde Helena Adler entsprechend wie eine Pop-Diva verehrt. Vergleiche mit dem 30 Jahre früher verstorbenen seinerzeitigen Shootingstar Werner Schwab drängen sich auf.

 

Roland Innerhofer:
Karnevalisierung des Antiheimatromans. Helena Adlers Die Infantin trägt den Scheitel links

Helena Adlers Roman ruft den Topos des ‚Schwarzen Karnevals‘ auf. Groteske Sprachbilder verweisen auf in den Untertiteln zitierte, aber nicht abgebildete Gemälde und heben sich zugleich von ihnen ab. An die Stelle einer Ekphrasis tritt die Exposition der intermedialen Differenz von Literatur und Malerei. Die Brüchigkeit des Adlerʼschen Heimatnarrativs unterläuft das Pathos, die Verbindung von Leiden, Leidenschaft und Erhabenheit, die etwa den ein knappes halbes Jahrhundert zuvor erschienenen, als Kontrastfolie zu betrachtenden Antiheimatroman Schöne Tage von Franz Innerhofer kennzeichnet.

 

17 Uhr
Vorträge und Diskussion

Julia Lückl:
Re/Visiting Rechnitz. Zur Transformation eines Un-Orts der Anti-Heimatliteratur

Auch im Jahr 2024 sind die Opfer des Rechnitzer NS-Endphaseverbrechens nach wie vor an unbekannter Stelle verscharrt. Während die Versuche, das Massengrab zu finden, bislang scheiterten, gibt es in Literatur und Film seit mittlerweile 30 Jahren künstlerische ‚Grabungsarbeiten‘, die diese Leerstelle der Erinnerungskultur dokumentieren, performieren und auch in populäre Narrative überführen. Der Vortrag untersucht anhand von Margareta Heinrichs und Eduard Ernes Dokumentarfilm Totschweigen (1994), Elfriede Jelineks Rechnitz (Der Würgeengel) (2008) und Eva Menasses Dunkelblum (2021) die Konstitution und Transformation von Rechnitz als Un-Ort im kulturellen Gedächtnis Österreichs.

 

Goran Lovrić:
Raphaela Edelbauer Das flüssige Land – ein Anti-Heimatroman oder Anti-Heimat-Roman?

Die zum großen Teil surreale Handlung von Raphaela Edelbauers Roman Das flüssige Land (2019) spielt im fiktiven Ort Groß-Einland in der österreichischen Provinz. Dieses von der Außenwelt isolierte Städtchen kann als Parabel auf die mangelnde Vergangenheitsbewältigung in Österreich in der Nachkriegszeit verstanden werden, während die Provinz als fiktionaler Mikrokosmos erscheint, der die mit lückenhafter Erinnerungskultur verbundenen Probleme des ganzen Landes repräsentiert. Im Vortrag wird besprochen, ob der Roman aufgrund einschlägiger Literatur inhaltlich, geographisch und literaturgeschichtlich in den österreichischen Anti-Heimatroman eingeordnet werden kann.

 

EINTRITT FREI!

 

Klaus Kastberger
Kastberger © Kulturzeitung Achtzig / Stephan Friesinger
Geboren 1963 in Gmunden (OÖ), seit März 2015 Professor für neuere deutschsprachige Literatur am Franz-Nabl-Institut der Universität Graz und Leiter des Literaturhauses Graz. Zahlreiche Bücher, Aufsätze und Vorträge vor allem zur österreichischen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts, Herausgeber der historisch-kritischen Ausgabe Ödön von Horváths. Seit 2015 Juror beim Bachmannpreis. Österreichischer Staatspreis für Literaturkritik 2023.Mehr erfahren
Wolfgang Straub
Straub © Peter Köllerer
Geboren 1968 in Zell am See, Studium der Deutschen Philologie, Publizistik und Theaterwissenschaft in Salzburg und Wien, Dissertation zum Thema Fremdenverkehr und touristische Topoi in der österreichischen Literatur. Er ist Leiter der Handschriften, Musikalien und Nachlässe an der Wienbibliothek im Rathaus, außerdem Leiter des Forschungsprojekts „Kofler aural“ am Robert-Musil-Institut für Literaturforschung Klagenfurt. Zahlreiche Buchpublikationen, zuletzt: „Das Ohr ist mein Auge.“ Auditive und aurale Phänomene im Schreibprozess (Mithg.; in Druck).Mehr erfahren
Natalie Moser
Moser © Tobias Hopfgarten
Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Potsdam. Studium der Philosophie und Germanistik in Basel und München, Promotion zu Wilhelm Raabes Erzählen und Habilitation zur kritischen Heimatliteratur seit 1945. Zuletzt: Stadt – Land. Aushandlungen einer markanten Differenz in Literatur und Gesellschaft der Gegenwart. Hg. v. Katharina Mohring, Natalie Moser u. Ulrike Schneider erscheint im Frühling 2025 bei Transcript.Mehr erfahren
Marc Weiland
Weiland © privat
Er ist Literaturwissenschaftler und Projektleiter am Lehrstuhl für Soziologie Ländlicher Räume der Georg-August-Universität Göttingen sowie Gründer und Herausgeber der Buchreihe "Rurale Topografien" im Transcript-Verlag. Jüngst erschienen: "Landvermessungen – Franz Kafka und das Landleben" (2024).Mehr erfahren
Raffael Hiden
Hiden © privat
Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter (Postdoc) am Institut für Soziologie der Universität Graz. Seine Forschungsschwerpunkte sind Geschichte und Philosophie der Sozialwissenschaften, Soziologische Theorie und Literatursoziologie.Mehr erfahren
Daniela Bartens
Bartens © privat
Geboren 1962 in Graz, seit 1993 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Franz-Nabl-Institut der Universität Graz und Bearbeiterin der Vor- und Nachlässe von Autor*innen aus dem Umfeld der „Grazer Gruppe“ (u.a. von Barbara Frischmuth, Gerhard Roth und Werner Schwab). Mitherausgeberin von Roths fotografischem Werk in mittlerweile sechs Fotobüchern, zuletzt der aktualisierten Neuauflage von Gerhard Roth: Atlas der Stille (2022, gem. mit Martin Behr). Zahlreiche Publikationen zur österreichischen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts, zuletzt: Gerhard Roth. Archen des Schreibens (Hg. mit David J. Wimmer, 2023).  Mehr erfahren
Roland Innerhofer
Germanistikprofessor an der Universität Wien. Zahlreiche Beiträge zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Zuletzt: (Mithg.): Teilweise Musil. Kapitelkommentare zum „Mann ohne Eigenschaften“. Berlin 2020.Mehr erfahren
Julia Lückl
Lückl © Lea Keil
Sie ist seit 2024 als Universitätsassistentin (Prae-Doc) am Institut für Germanistik der Universität Wien tätig. Zu ihren Schwerpunkten zählen die Anti-Heimatliteratur, Autorschaftsdiskurse und der gegenwärtige Literaturbetrieb.Mehr erfahren
Goran Lovrić
Lovrić © privat
Er ist Professor an der Universität Zadar (Kroatien), Autor literaturwissenschaftlicher Publikationen, Herausgeber mehrerer Sammelbände. Forschungsschwerpunkte: deutschsprachige Gegenwartsliteratur, Literaturgeschichte und -theorie.Mehr erfahren
Do., 24.04.2025
Datum
9:00 Uhr
Uhrzeit

Dazugehörige Veranstaltungsreihe

Fr., 25.04.2025

9:00 - 16:00 Uhr

Vortrag und Gespräch // Symposium

Fiktion Heimat

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