Erika Wegan: Schwarzes Österreich. 5 Bilder aus vergangenen Tagen

Erika Wegan: Schwarzes Österreich. 5 Bilder aus vergangenen Tagen. FNI-WEGAN. 1.2. Schwarzes Österreich. Typoskript auf glattem Durchschlagpapier, 30 Bl., davon Bl. II und Bl. 1.

Erika Wegan: Lebenslauf. FNI-WEGAN. 2. Lebenslauf. Manuskript, verfasst von Erika Wegans Kindern Elisabeth Fleischer, Martha Wegan, Johannes Wegan und Paul Wegan, schwarze Tinte und Kugelschreiber auf kariertem Papier, 1 Bl.

Erika Wegan: In einer fremden Stadt. FNI-WEGAN. 1.1. Typoskript auf glattem Durchschlagpapier, 1 Bl.

Erika Wegan: So ist es in Graz. FNI-WEGAN. 1.1. Typoskript auf glattem Papier, hs. Eintragung mit Bleistift, 1 Bl.

Elisabeth Fleischer, Martha Wegan, Johannes Wegan und Paul Wegan (Hrsg.): Erika Wegan 1974–1985. [Privatdruck] Graz: Khil 1985.

 

Erika Wegan wurde am 3. Juli 1910 in Wien als Erika Wichtl geboren. Sie war die Tochter des Reichstagsabgeordneten Friedrich Wichtl und der Maria Josefa Wichtl. 1934 heiratete sie den Präsidenten des Landesgerichts und Universitätsprofessor für Zivilprozessrecht und Agrarrecht Dr. Josef Michael Wegan. Die beiden lebten in Wien, Gföhl, St. Pölten, Batschuns (Vorarlberg), Semriach und ab 1945 in Graz. Erika Wegan verstarb 1985 ebendort.

1928, also mit 18 Jahren, begann sie, literarische Texte zu verfassen. Sie schrieb Lyrik, Dramen, Kurzprosa, einen Roman (Das Glück ist die Liebe), Hörspiele (Der Autonarr, Alles) und ein Sachbuch (Probleme von heute. Für Mütter von heute). Alle diese Texte sind unveröffentlicht und im Bestand Erika Wegan im Franz-Nabl-Institut zugänglich.

Ihr Drama Schwarzes Österreich, an dem sie zwischen 1945 und 1954 gearbeitet hat, wurde 1975 vom ORF Steiermark als Hörspiel gesendet. In den Katalogen der Österreichischen Nationalbibliothek, der Universitätsbibliothek Graz und der Steiermärkischen Landesbibliothek ist kein Werk von ihr verzeichnet, sieht man von einer Publikation ab, die den Titel Erika Wegan: 1974–1985 (privat verlegt in Graz bei Khil 1985) trägt und von ihren Kindern Elisabeth Fleischer, Martha, Johannes und Paul Wegan herausgegeben wurde. Die Publikation hat einen Umfang von knapp 20 Seiten und umfasst ein paar Gedichte und Kurzprosatexte von Erika Wegan aus den Jahren 1974–1985.

Wegans Lyrik, Dramatik und Prosa schwankt zwischen Modernität und Tradition. Die Themen Ehe und Familie stehen im Vordergrund. Diese werden meist auf einem religiösen Hintergrund verhandelt. Auch in ihre Lyrik ist viel Religiöses eingeflossen, was die Texte zu einem gewissen Grad zeitgebunden und konservativ wirken lässt. Anschaulich wird dies in zwei Gedichten, die ich im Folgenden besprechen möchte: In einer fremden Stadt und So ist es in Graz.

Das Gedicht In einer fremden Stadt ist auf Mai 1946 datiert und in Graz entstanden. Es ist größtenteils in Paarreimen verfasst und lebt vom Kontrast zwischen Frühling und Nachkrieg. Durchaus narrativ erzählt das Gedicht von einem Mädchen und einem Mann, an dessen Arm es geht. Beide sind betrübt, das Mädchen hat Tränen auf den Wangen. Das lyrische Ich möchte das Mädchen nach ihrem Kummer fragen, traut sich jedoch nicht. Damit wird die Nachkriegssituation, die mangelnde Solidarität und Brüderlichkeit bzw. Schwesterlichkeit, auf den Punkt gebracht. Das Gedicht endet mit einer Selbstbezichtigung und einer traurigen Einsicht: „Doch Reue überfiel mich, der ganze Jammer der grossen Stadt. / – trotz Frühling und Sonne! – dass niemand hier hat / im andern Bruder und Schwester, dass kein Christ / Dem Einsamen, Fremden, Bruder hier ist.“

Das zweite Gedicht, So ist es in Graz, ist auf Juni 1956 datiert. Es handelt von der Konsumgesellschaft, die sich zu etablieren begonnen hat, und von den Menschen darin, die danach „jagen […] zu haben recht viel“ und für „Gottes Worte taub“ sind. Das Gedicht ist damit unmittelbarer Ausdruck des Konsumfetischismus der mittleren und späten fünfziger Jahre. Auch darin ist ein Mangel, eine Leere zu erkennen, gegen die die Autorin anschreibt. Dass es auch andere Menschen gibt als solche, die nur Dinge gierig an sich raffen, wird aus der zweiten Strophe des Gedichtes erkennbar. Dort ist von „Menschen“ die Rede, „denen Christi Leuchten ins Antlitz geschrieben ist“: „Sie grüßen einander mit heimlichem Segnen, / weil sie sich lieben.“ Die Liebe ist für Erika Wegan letztlich die einzige ‚Himmelsmacht‘, die den Menschen Trost bieten kann, Trost in all der Vergänglichkeit und dem Lebenskampf, dem sie ausgesetzt sind. Nicht umsonst trägt ihr einziger im Nachlass überlieferter Roman den Titel Das Glück ist die Liebe.

Auch im Stück Schwarzes Österreich, das 1954 abgeschlossen wurde, ist es letztlich die Liebe, die über alle politischen Krisen hinweg den Sieg davonträgt. Die Handlung setzt 1938 mit dem Anschluss ein und zeigt deutlich die sofortige braune Umfärbung vor allem der männlichen Protagonisten. Im Mittelpunkt steht die Familie Englbert. Von Ferne klingt hier Dollfuß an, dessen Porträt aber von der zum Nationalsozialismus übertretenden Familie sogleich von der Wand genommen wird. Besonders begeistert von der NS-Ideologie ist Sohn Walter, der bereits vor dem Anschluss ein glühender Hakenkreuzler war und sich nun in seiner Haltung bestärkt fühlt. Einzig Karin, die Tochter, ist skeptisch. Sie sieht im Nationalsozialismus einen neuen „Götzendienst“ und predigt ihrem Bruder Walter: „Der Glaube ist das Notwendigste, was wir brauchen, um Gott entgegen zu eilen. Ein Mensch ohne Glauben ist wie ein Mensch, der keine Füße hat. Alle seine Bemühungen sind umsonst, er wird dem Reiche Gottes nicht näher kommen. Die Hoffnung, das ist unser Auge, mit dem wir über den Abgrund schauen, der uns von dem Ewigen trennt, –“.

Der Verlauf der Handlung weist dann einige dramatische Wendungen auf. Vater Helmuth trennt sich von seiner Frau Hertha und macht das Verhältnis mit seiner Sekretärin Elly öffentlich, die jedoch auch die große Liebe des Sohnes Walter ist. Dieser fällt schließlich im Krieg, und die Tochter Karin erliegt ihren Verletzungen nach einem Bombenangriff. Der Schluss enthält dennoch ein ‚Quantum Trost‘, denn der Vater Helmuth kehrt zu seiner Frau zurück. In der Schlusspointe bezeichnet dieser sich noch als „Widerstandskämpfer“, was ihm der russische Besatzungssoldat erstaunlicher Weise abnimmt. So kommen Vater und Mutter Englbert ungeschoren davon.

Es ist ein tiefes und betrübliches Stück ‚schwarzes Österreich‘, das Wegan schildert. Sie zeichnet Menschen, die wendehälsisch jeder Ideologie zulaufen, um damit ihr nacktes Überleben zu sichern. Im christlichen Glauben und dessen Werten sieht Wegan letztlich die einzige wirkliche Alternative zu den politischen Ideologien. Vor allem die Nächstenliebe, aber auch die Liebe zwischen Mann und Frau sind es, die über alle politischen Verirrungen hinweg den Menschen Halt geben und sie wieder auf den (vermeintlich) richtigen Weg führen können.

Nicole Streitler-Kastberger

veröffentlicht am 14. November 2024 in Objekt des Monats